Diskriminierungssensible Transformationspolitik auf lokaler Ebene ermöglichen

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Selbst wenn man den besten Willen hat und mit einem ‚Jeder ist willkommen!‘ einlädt, wird man nur eine bestimmte Gruppe von Menschen haben, die teilnehmen. Wir müssen also die Menschen in unsere Köpfe kriegen, die marginalisiert und unbewusst diskriminiert werden. Wenn wir nichts tun, um diese Leute abzuholen, werden sie nicht kommen und teilnehmen".

Martin Papot, Euraénergie Dünkirchen

"Wenn wir uns wünschen, repräsentative und diverse Communities einzuladen und einzubinden, müssen wir nicht nur am Tisch auf Augenhöhe sitzen können, sondern den Tisch gemeinsam aufbauen."

Ouassima Laabich-Mansour, Expertin für Antidiskriminierung

Texte d'introduction / Einleitungstext

Der Klimawandel, die Anpassung an seine Folgen und Maßnahmen zum Schutz des Klimas wirken sich nicht nur global unterschiedlich aus. Auch innerhalb Deutschlands und Frankreichs sind Menschen ungleich betroffen. Strategien für Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels laufen in Gefahr bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen zu verstärken. Kommunen als erste staatliche Kontaktstelle für Bürger:innen und zentrale Akteur:innen für Klimaschutz und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels haben hier eine Schlüsselrolle.

Accordéons
Titel
Begründung
Description / beschreibung

Kommunen müssen vor Ort die sozial-ökologische Transformation diskriminierungssensibel gestalten und somit ihren Beitrag für Klimagerechtigkeit leisten. Wie der Weltklimarat festhält [1], umfasst Klimagerechtigkeit drei Aspekte: Erstens, eine gerechte Verteilung der Lasten und Vorteile von Maßnahmen für Klimaschutz und eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels, kurz, der Klimapolitik, zweitens eine Beteiligung an Entscheidungsfindungen sowie drittens eine grundsätzliche Wertschätzung von und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven.

Klimapolitik in beiden Ländern droht, diesem Zielbild nicht gerecht zu werden, und Diskriminierungen zu reproduzieren. So kann beispielsweise die notwendige energetische Sanierung von Wohnhäusern, ohne eine Kopplung der öffentlichen Förderung an Mietbremsen, zu höheren Mietkosten führen, die einkommensschwache Menschen besonders stark treffen. Stoßen derartige Folgen von Klimapolitik auf weitere Formen von Diskriminierung, etwa rassistische Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt [2], werden bestimmte Gruppen in besonderem Maße benachteiligt und gesellschaftliche Ungleichheiten verschärft. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk hat drei Bereiche identifiziert, in denen eine diskriminierungssensible Transformationspolitik auf kommunaler Ebene gefördert werden kann.

Klimapolitik und Antidiskriminierungsarbeit werden in der Praxis beider Länder oft getrennt behandelt. Um den Anspruch der Klimagerechtigkeit umzusetzen, braucht es eine Vernetzung und Zusammenarbeit von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren kommunaler Klimapolitik mit solchen, die Antidiskriminierungsarbeit leisten. Dabei ist insbesondere eine Zusammenarbeit mit Selbstorganisationen diskriminierter Gruppen derzeit nur unzureichend möglich. Selbstorganisationen sind insbesondere Organisationen bestimmter Migrant:innen, Community-Vereine oder Selbsthilfeverbünde, die die unterschiedlichen Perspektiven ihrer Gemeinschaften spiegeln, spezifische Expertise und Erfahrungswerte bündeln und wissen, wie eine diskriminierungssensible Zusammenarbeit innerhalb und mit ihren Gemeinschaften gestaltet werden kann. Diese Selbstorganisationen arbeiten zumeist unter prekären Bedingungen und erhalten für ihren Hauptzweck, das Empowerment der eigenen Gemeinschaften, kaum Unterstützung. In der Folge fehlen ihnen die Kapazitäten, um sich in Klimapolitik einzubringen und diese mitzugestalten.

Weiterhin mangelt es Kommunen in Deutschland und Frankreich an Daten und Forschung, welche die Herausforderungen einer diskriminierungssensiblen Transformationspolitik konkretisieren. Staatliche Stellen beider Länder selbst erheben dabei zu Recht keine Daten, die diskriminierend verwendet werden können, wie zum Beispiel die Ethnizität. In Ermangelung von ausreichend Daten und Forschung, die spezifische Diskriminierungen und vielfältige Perspektiven sichtbar machen, sind Kommunen aber schlecht gerüstet, um Maßnahmen klimagerecht zu gestalten. Dabei zeigt das Beispiel des in Deutschland durchgeführten Afrozensus 2020 [3], dass Selbstorganisationen diskriminierter Gruppen unterstützt durch öffentliche Gelder und in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Organisationen dort federführend Forschung leisten und Datengrundlagen schaffen können, wo dem Staat die Erhebung von Daten untersagt bleiben sollte. Eine derartige Zusammenarbeit bietet die Chance, Daten sensibel zu erheben, Selbstzuschreibungen zu erfassen sowie Perspektiven und Empowerment-Strategien aufzuzeigen.

Eine weitere Chance für eine erhöhte Sichtbarkeit von vielfältigen Perspektiven und mehr Beteiligung an Entscheidungsfindungen bieten konsultative Bürger:innenräte. Bürger:innenräte erhalten als Ergänzung der repräsentativen Demokratie in Frankreich und Deutschland derzeit viel politischen Zuspruch und ein breites Echo in der Öffentlichkeit. Dabei sind Bürger:innenräte jedoch selten so gestaltet, dass Menschen, die Diskriminierung erfahren müssen, sich gleichberechtigt einbringen können und ihre Perspektiven wertgeschätzt finden. Erfahrungswerte von Bürger:innenräten auf kommunaler Ebene zeigen zum Beispiel, dass bei einer Auswahl von Bürger:innen durch Losverfahren mit schriftlicher Einladung Faktoren wie Deutsch oder Französisch als Fremdsprache faktische Beteiligungshürden darstellen können.

 

[1] Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC): WGII Sixth Assessment Report, Summary for Policymakers, S. 6. Abrufbar auf Englisch unter https://report.ipcc.ch/ar6wg2/pdf/IPCC_AR6_WGII_SummaryForPolicymakers.pdf.

[2] Rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2020.

Für Deutschland bestätigt eine Studie der Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass bei der Wohnungssuche rassistische Diskriminierungen deutlich häufiger vorkommen als Diskriminierungen aufgrund von anderen durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) geschützten Merkmalen. Die Mehrzahl der Befragten, die Diskriminierungserfahrungen bei der Wohnungssuche machen mussten, haben sich im Anschluss zudem nicht an eine Stelle gewandt haben, um den Vorfall zu melden oder sich Beratung zu holen. Abrufbar auf Deutsch unter

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Umfragen/umfrage_rass_diskr_auf_dem_wohnungsmarkt.pdf;jsessionid=CFC39094DE63907BD6B755B908E8464F.intranet211?__blob=publicationFile&v=4.

[3] Aikins, Muna AnNisa; Bremberger, Teresa; Aikins, Joshua Kwesi; Gyamerah, Daniel; Yıldırım-Caliman, Deniz (2021): Afrozensus 2020: Perspektiven, Anti-Schwarze Rassismuserfahrungen und Engagement Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland, Berlin. Abrufbar auf Deutsch unter https://afrozensus.de.

 
Titel
Plädoyer
Description / beschreibung

Kommunen gestalten die sozial-ökologische Transformation. In dieser Transformations-gestaltung müssen Kommunen sensibel für bestehende Diskriminierungen sein und diese abbauen. Dafür brauchen sie die vielfältigen Perspektiven der Gesellschaft. Für Menschen, die unterschiedliche Diskriminierungen erfahren müssen, bestehen aber vielfach Zugangshürden. Klimapolitische Maßnahmen laufen in die Gefahr, Diskriminierungen zu verfestigen, wenn diese Zugangshürden nicht abgebaut werden. Die nationalen Regierungen müssen deshalb insbesondere die Potenziale und bestehenden Formen der Zusammenarbeit auf Augenhöhe von lokaler Politik und Verwaltung mit den zivilgesellschaftlichen Selbstorganisationen von diskriminierten Gruppen anerkennen und fördern.

Titre / Titel

Aktionsvorschläge

Accordéons
Titel
Antidiskriminierungsarbeit und kommunale Klimapolitik vernetzen
Description / beschreibung

Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt den Regierungen Deutschlands und Frankreichs die folgende Maßnahme zu ergreifen:

Die nationalen Regierungen sollten Förderprogramme für kommunale Klimapolitik so gestalten, dass sie eine Vernetzung und Zusammenarbeit mit öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorsehen, die Antidiskriminierungsarbeit leisten. Um Selbstorganisationen diskriminierter Gruppen eine Beteiligung zu ermöglichen, sollte zudem die Existenz dieser Organisation über eine strukturelle und mehrjährige Förderung aus nationalen Mitteln gesichert werden, die auch das Empowerment dieser Gruppen durch ihre Selbstorganisationen umfasst.

Titel
Diskriminierungen und Ungleichheiten erfassen und abbauen
Description / beschreibung

Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt den Regierungen Deutschlands und Frankreichs die folgende Maßnahme zu ergreifen:

Die nationalen Regierungen sollten dafür sorgen, dass mehr Daten und Forschung aufzeigen, wie Klimapolitik sich auf bestehende Ungleichheiten und Diskriminierung in beiden Gesellschaften auswirkt. Gefördert werden sollten insbesondere Daten und Forschung zu Situation, Perspektiven und Strategien diskriminierter Gruppen, die in einer Zusammenarbeit der Selbstorganisationen diskriminierter Gruppen mit selbst gewählten wissenschaftlichen Organisationen konzipiert und umgesetzt werden.

Titel
Bürger:innenräte diskriminierungssensibel gestalten
Description / beschreibung

Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt den Regierungen Deutschlands und Frankreichs die folgende Maßnahme zu ergreifen:

Die nationalen Regierungen sollten dazu beitragen, dass Bürger:innenräte diskriminierungssensibel gestaltet werden, um bei allen Fragen der sozial-ökologischen Transformation eine Vielfalt von Perspektiven sichtbar zu machen. Einzelne Kommunen in Deutschland und Frankreich haben Ansätze für gleichberechtigte Lernräume entwickelt, die Verbreitung finden und auch von Bürger:innenräten auf nationaler Ebene aufgegriffen werden sollten. Dazu gehören Maßnahmen wie Aufwandsentschädigungen, der Gebrauch einfacher Sprache, eine diskriminierungssensible Gestaltung des Prozesses und eine aktive, gruppenspezifische Ansprache.

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Empfehlung 7 - Diskriminierungssensible Transformationspolitik auf lokaler Ebene ermöglichen
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