Von alten Fenstern und Klimazielen

Von Deborah Ferreira
Übersetzung ins Französische von Marie Millot-Courtois
Jeanne lebt in einem charmanten Häuschen in Südfrankreich, unweit von Cannes. Wenn ihre Freunde sie im Sommer besuchen, schwärmen alle: Wie schön muss es sein, ein eigenes Häuschen an der Côte d’Azur zu besitzen und keine Miete zahlen zu müssen. Wie es hier im Winter ist, sehen nur die wenigsten von ihnen. Wenn der kalte Mistralwind über die Region fegt, flucht Jeanne. Denn durch ihre Fenster kommt die kalte Winterluft ungehindert herein, während die Heizung regelmäßig ausfällt. Dann verbringt Jeanne die Abende nicht in der gemütlichen Küche oder im Wohnzimmer, sondern im Schlafzimmer – dem einzigen Raum, der einigermaßen warm bleibt.
Eine Sanierung mit einer effizienten Dämmung und einem funktionierenden Heizsystem kann sie sich nicht leisten. Die Bank hat ihr wegen ihres Alters und des niedrigen Einkommens keinen Kredit gewährt. Und selbst wenn wüsste sie gar nicht, wie sie die Bauarbeiten angehen sollte: Wie kommt sie angesichts des Fachkräftemangels an Handwerker:innen heran? Welche Bauarbeiten haben Priorität? Und wenn die Arbeiten schlecht gemacht sind und es dann schimmelt? Jeanne hat sich damit abgefunden, dass es im Winter nun einmal kalt bleibt.
Energiearmut betrifft auch viele Eigentümer:innen
In Frankreich wohnen 60 Prozent der Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Im Rentenalter sind es sogar noch mehr. Doch gerade Eigentümer:innen mit geringem Einkommen besitzen, so wie Jeanne, überproportional häufig die energetisch ineffizientesten Immobilien und leben in Energiearmut: Sie geben mehr als 8 Prozent ihres Einkommens für Energiekosten aus und gehören zu den 30 Prozent einkommensschwächsten Haushalten des Landes. Die Annahme, dass Eigentum automatisch Wohlstand bedeutet, trügt: Oftmals ist das Haus das einzige nennenswerte Erbe und Vermögen.
Diese Problematik existiert auch in Deutschland: „Rund 1,5 Millionen selbstnutzende Hausbesitzer:innen gehören zum unteren Einkommensdrittel. Dies sind in etwa 11 Prozent aller Eigenheimbesitzer:innen. Sie leben vor allem in Häusern, die in den Jahren 1949 bis 1990 gebaut wurden und zumeist mit älteren Heizungsträgern (Heizöl) beheizt werden.“*
Ein erheblicher Anteil von Eigentümer:innen in Deutschland wie auch in Frankreich erhält zudem keinen Kredit für notwendige Sanierungen. Vor allem im Rentenalter wird die Kreditaufnahme kompliziert: Banken sind zögerlich bei der Kreditvergabe, die Laufzeit für Kredite wird kürzer und die monatlichen Raten dementsprechend höher.
Schlecht isolierte Gebäude zählen zu den größten Energieschleudern in Europa. Eine erfolgreiche Energiewende ist ohne umfassende Gebäudesanierungen undenkbar. Die Lösung dieser Herausforderung ist daher nicht nur eine soziale, sondern auch eine klimapolitische Notwendigkeit.
Öffentliche Stellen unterstützen von der Beratung bis zur Finanzierung
In der Region Occitanie hätte Jeanne durch das Angebot von Rénov‘Occitanie mehr Unterstützung erfahren können. Diese Einrichtung ist Teil des Sérafin-Netzwerks, zu dem insgesamt sechs (halb-)öffentliche Beratungsstellen in Frankreich gehören. Das Ziel dieser sogenannten One-Stop-Shops ist es, Einzeleigentümer:innen und Eigentümer:innengemeinschaften während des gesamten Prozesses der energetischen Sanierung – von der Planung bis zur Durchführung – zu beraten und zu begleiten.
Nachdem Rénov‘Occitanie den energetischen Zustand des Gebäudes bewertet hat, stellen die Berater:innen den Eigentümer:innen verschiedene Sanierungsszenarien vor. Das Ziel ist dabei, mindestens 40 Prozent Energieeinsparungen zu erreichen. Es geht also nicht um einzelne Maßnahmen, sondern um umfassende Sanierungen. Wichtig dabei: Die Eigentümer:innen bleiben während des gesamten Prozesses die Verantwortlichen. Sie treffen die Entscheidungen und schließen selbst die Verträge mit den Handwerker:innen ab, erhalten jedoch durchgehend Unterstützung und Beratung.
Die One-Stop-Shops verfügen über ein stabiles Netzwerk an Fachkräften, das die Vermittlung von Handwerker:innen erleichtert, eine qualitativ hochwertige Arbeit sichert und vor allem: Vertrauen schafft. Nach einer erfolgreichen Vermittlung überwachen sie den Baufortschritt und prüfen, ob die erwarteten Energieeinsparungen nach Abschluss der Arbeiten erreicht werden.
Der entscheidende Vorteil liegt jedoch in der finanziellen Unterstützung. Viele Eigentümer:innen scheitern an den hohen Finanzierungskosten einer Sanierung. Um hier Abhilfe zu schaffen, agieren die One-Stop-Shops des Sérafin-Netzwerks als Drittfinanzierungsgesellschaften – eine Art kleine regionale Bank. Dank einer Sonderregelung im französischen Haushaltsgesetz (erstmals 2015 eingeführt und 2024 dauerhaft verankert) sind sie in der Lage, selbst Kredite zu vergeben und Fördermittel vorzufinanzieren. Das bedeutet, dass Eigentümer:innen die Sanierungskosten nicht alleine vorstrecken müssen. Da die One-Stop-Shops den gesamten Sanierungsprozess begleiten, können sie zudem die erwarteten Energieeinsparungen in ihre Kreditvergabe einbeziehen, was eine flexiblere und passgenauere Finanzierung ermöglicht. Zudem helfen sie bei der Beantragung von Zuschüssen. Finanzielle Hürden werden damit deutlich gesenkt.
One-Stop-Shops in Frankreich fördern, in Deutschland aufbauen
Drittfinanzierungsgesellschaften wie Rénov Occitanie sind in Frankreich eine wertvolle Ergänzung zu einem bereits bestehenden Netzwerk an Beratungsstellen, die in der Regel weniger umfassend sind und keine Finanzierung gewährleisten können. Doch ihr Budget ist durch eine steigende Sparpolitik gefährdet. Diese Entwicklung steht beispielhaft für die Unsicherheit der nationalen Sanierungspolitik. Förderprogramme haben eine kurze Laufzeit und werden laufend abgeändert.
Die regionale Ebene klagt darüber, sich konstant anpassen zu müssen und so bestehende Strukturen nicht stabil weiterführen und ausbauen zu können. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt der französischen Regierung daher, bestehende Förderprogramme zu konsolidieren und die Entwicklung von Drittfinanzierungsgesellschaften stärker zu fördern.
Anlaufstellen für energetische Sanierung sind in Deutschland flächendeckend noch nicht vorhanden und gesetzlich nicht verankert. Umfassende One-Stop-Shops sind selten und eine Vorfinanzierung von Zuschüssen oder eine vereinfachte Kreditvergabe, wie sie in den Drittfinanzierungsgesellschaften in Frankreich zu beobachten ist, existiert nicht. Mit der 2024 novellierten EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden wird sich einiges ändern: Mitgliedsstaaten sind zur Einrichtung zentraler Anlaufstellen zur Begleitung energetischer Sanierungen verpflichtet. Diese Regelung muss ab Inkrafttreten der Richtlinie im Mai 2024 innerhalb von zwei Jahren auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Für die deutsche Regierung empfiehlt das Deutsch-Französische Zukunftswerk, die Voraussetzungen zu schaffen, um den Aufbau der Anlaufstellen sozialgerecht auszurichten: Mit einem Fokus auf einkommensschwächere Eigentümer:innen wie Jeanne, mit einer sozialgerechten Staffelung der Förderlandschaft, mit Mechanismen für eine Vorfinanzierung von Zuschüssen sowie mit leichter zugänglichen Sanierungskrediten.
*In: Schumacher, K., Nissen, C., & Braungardt, S. (2022). Energetische Sanierung schützt Verbraucher*innen vor hohen Energiepreisen – Vorschläge für eine soziale Ausrichtung der Förderung. Öko-Institut e.V.