Nachhaltige Stadtplanung im großen Stil umsetzen: Lyon setzt auf kollektive Intelligenz
Was Lyon als Initiative auszeichnet
2022 hat sich die Stadt zur Teilnahme am Programm 100 klimaneutrale und intelligente Städte qualifiziert. Die Europäische Kommission unterstützt mit dem Projekt besonders ambitionierte Städte dabei, bis 2030 klimaneutral zu werden.
In Lyon bildet die Stadt- und Architekturcharta den Rahmen für alle Bau-, Sanierungs- und Stadtentwicklungsprojekte. Dieser gemeinsame Rahmen soll es der Stadt ermöglichen, ihr Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Ein Rückblick auf den Kontext der kollektiven Erarbeitung dieser Charta, die wesentlich zu ihrem Erfolg beigetragen hat.
Durch Renovierungsmaßnahmen bestehender Bausubstanz, beispielsweise im Bahnhofsquartier Part-Dieu, versucht Lyon bereits, seine Emissionen zu reduzieren. Ohne die Unterstützung aller Akteur:innen kann die Stadt jedoch nicht CO2-neutral werden. Nur wenn Architekt:innen, Bauträger:innen, Vermieter:innen, Eigentümer:innen und Akteur:innen aus der Immobilien- und Baubranche an einem Strang ziehen, kann die ökologische Transformation beschleunigt werden. Aus deren Kooperation mit der Stadt ist im Jahr 2021 ein neuer Rahmen für die Stadtplanung in Lyon entstanden: Die ko-kreativ erarbeitete Charta für städtebauliche und architektonische Qualität. Sie ist ein echtes Instrument für den Dialog zwischen Projektträgern und der Stadt und führt dazu, dass Bauprojekte bereits in der Planungsphase begleitet werden, um ökologische Aspekte mitzudenken und Umweltstandards zu erfüllen.
Die Charta ist rechtlich nicht bindend, dient aber als gemeinsamer Bezugsrahmen für alle Akteur:innen, die an der Stadtentwicklung beteiligt sind. Sie legt ihren Schwerpunkt auf die Entwicklung der Natur und Biodiversität in der Stadt, die Verringerung der CO2-Belastung der Gebäude, die Qualität der Stadträume, die hochwertige Gestaltung von Wohn- und Arbeitsräumen und transparente Planungsprozesse. „Bauen heißt nicht Betonieren. Bauen bedeutet, sich im Kampf gegen die globale Erwärmung zu engagieren"[1], so fasst es Raphaël Michaud, Beigeordneter des Oberbürgermeister von Lyon und zuständig für Stadtplanung, Wohnungsbau und Raumplanung, zusammen. (Quelle: www.lesechos.fr)
[1] « Construire ce n'est pas bétonner, c'est engager nos territoires dans la lutte contre le réchauffement climatique »
Trotz seiner zentralen Lage auf der Lyoner Halbinsel diente das Viertel Confluence im 19. Jahrhundert als Lager- und Umschlagplatz für Güter und beherbergte den Großmarkt der Stadt, die kommunalen Schlachtbetriebe und Gefängnisse. Heute ist Confluence ein etwa 150 Hektar großes Experimentierfeld für nachhaltige Architektur im Süden der Halbinsel und Inspiration für Stadtentwicklungsprojekte weltweit: Gebäude wurden teilweise mit Holzstrukturen und aus recycelten Baumaterialien entwickelt, Sonnenkollektoren produzieren Energie und es wird mit kollektiven Anlagen ökologisch geheizt, um den Energieverbrauch zu senken. Neubauten übersteigen daher sogar die Anforderungen, die das Label Bâtiments à Énergie Positive et Réduction Carbone (Energie-Plus-Haus) stellt.
Verschiedene Infrastrukturmaßnahmen sollen dazu führen, dass Natur und Mensch sich die öffentlichen Räume wieder aneignen: Auf der Halbinsel soll ein Stadtwald entstehen und eine neue Tramlinie bindet das Viertel gut an den öffentlichen Nahverkehr und die Innenstadt an. Um die Bewohner:innen zu einem autofreien Alltag zu motivieren, werden Parkplatznormen bis zur untersten Grenze ausgereizt. Lyon tut viel dafür, damit das Viertel grüner, ruhiger und vor allem kinderfreundlicher wird. Doch die Schattenseite der ökologischen Umgestaltung des Viertels sind hohe Mietpreise und Gentrifizierung: viele ehemalige Bewohner:innen wurden in außenliegende Stadtteile verdrängt, und die Stadt muss sich der Herausforderung stellen, nicht nur grüneren und nachhaltigeren Wohnraum zu schaffen, sondern auch bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen.
Die Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen Zukunftswerk
Die Innovationskraft und der Ehrgeiz Lyons ist Inspiration für uns und unser Netzwerk. Wie gelingt es der Stadt und der Metropolregion, die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben? Wie bekommt man verschiedene Interessenvertreter:innen an einen Tisch, um ambitionierte Standards für nachhaltiges Bauen und Renovieren zu schaffen? Wie kann eine lokale Mobilitätswende beschleunigt werden? Und was muss angesichts hoher Mieten und Verdrängungsprozesse getan werden, um die ökologische Transformation eines Viertels auch sozial gerecht zu gestalten?
Mehr erfahren über Lyon
Wirtschaftlicher Kontext:
Die Stadt Lyon ist einer der wichtigsten und attraktivsten Wirtschaftsstandorte Frankreichs. Die Metropolregion ist nach Paris das zweitgrößte Wirtschaftszentrum des Landes. Ursprünglich stark von der Textil- und Chemieindustrie geprägt, hat sich die Metropole aufgrund der Handels- und Finanztätigkeiten erheblich fortentwickelt.
Politischer Kontext:
Seit 2020 wird die Stadt Lyon von dem grünen Bürgermeister Grégory Doucet regiert. Er löste Gérard Collomb von der Parti socialiste (Sozialistische Partei) ab. Auch die Regierung der Metropolregion Lyon wird seit 2020 von den grünen „Ecologistes“ gestellt.
Chronologie der Charta für städtebauliche und architektonische Qualität:
2006: Gemeinsame Entwicklung der Charta für städtebauliche und architektonische Qualität
2021: Eine aktualisierte Charta setzt neue Standards zugunsten der Nachhaltigkeit
Chronologie des Stadtviertels La Confluence:
1995: Ehemaliger Bürgermeister von Lyon Raymond Barre initiiert das Projekt
2003: Beginn Bauarbeiten
2003-2015: Die Einwohner:innenzahl steigt von 3.000 auf 10.000
2005: Einweihung der Straßenbahnlinie T1
2015: Fertigstellung der Wohnanlage Hikari, die als erste mehr Strom erzeugt als sie verbraucht
2025: Geplanter Abschluss der Umgestaltungsmaßnahmen