Ein Rückblick auf die ersten Jahre des Deutsch-Französischen Zukunftswerks von Gilles de Margerie
Interview auf Französisch geführt und ins Deutsche übersetzt von Prof. Dr. Frank Baasner
Sie haben die Anfänge dieser neuen Initiative für deutsch-französische Zusammenarbeit, die durch den Vertrag von Aachen ins Leben gerufen wurde, mitgestaltet. Welche Höhepunkte sind Ihnen nach fast vier Jahren besonders in Erinnerung geblieben?
Die grundlegende Überzeugung bei der Gründung des Deutsch-Französischen Zukunftswerks war, dass in den Gesellschaften unserer beiden Länder tiefgreifende Transformationen stattfinden, fast unbemerkt, abseits des Scheinwerferlichts, zu denselben Themen. Diese Transformationen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das Tableau der kommenden politischen Reformen zu skizzieren, die erfolgreich umgesetzt werden können. Sie sind jedoch nicht ausreichend im Bewusstsein der Akteur:innen verankert, um die volle, ihnen innewohnende Wirkung zu entfalten.
Es war daher ein wichtiges Anliegen, neue Dialogformen zu schaffen, die es den Bürger:innen beider Länder ermöglichen, sich als Teil der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten, ihren Regierungen und allen ihren öffentlichen Institutionen zu begreifen. Ebenso wichtig ist es, den Verantwortlichen – dem deutsch-französischen Ministerrat, der deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung und ihrem Präsidium – diese erfolgreichen Erfahrungen unmittelbar zur Kenntnis zu bringen, damit sie deren Handeln inspirieren können.
Was hat der „Bottom-up“-Ansatz, der für die ersten Jahre gewählt wurde, gebracht?
Die Erfahrungen der ersten beiden Arbeitszyklen haben die ursprüngliche Intuition, die zur Gründung des Zukunftswerks führte, bestätigt. Nachdem das Thema eines Jahreszyklus festgelegt worden ist, identifizieren die Teams des Co-Sekretariats des Zukunftswerks interessante Projekte, die von lokalen Akteur:innen, meist von Gebietskörperschaften, getragen werden, und schlagen ihren Leiter:innen vor, sich an dem Austauschprozess zu beteiligen. Sobald einige Projekte in jedem Land ausgewählt sind, treffen sich deren Akteur:innen, tauschen Erfahrungen aus, identifizieren gemeinsame Probleme, die sie haben, sowie Lösungsansätze, die in Betracht gezogen und umgesetzt werden. Diese Phase ist von entscheidender Bedeutung. Hier entscheidet sich der Erfolg des gesamten Diskussionsprozesses. Zu den erfreulichsten Dingen gehörte die Erkenntnis, wie nah die Sorgen und Lösungsansätze in beiden Ländern beieinanderlagen. Die institutionellen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen sind sicherlich unterschiedlich. Nicht aber die Themen und die möglichen Formen, sich ihrer anzunehmen.
Dies dient dann als Grundlage für die Arbeit der Kerngruppe des jeweiligen Zyklus: Etwa 50 Personen, darunter natürlich Vertreter:innen aller Projektträger, die zu gleichen Teilen aus den beiden Ländern kommen, treffen sich in dem sogenannten „Resonanzraum“ – eine transdisziplinäre und binationale Gruppe, die sich insgesamt dreimal zu einem längeren Austausch trifft, um aus den gemeinsamen Erfahrungen der Gebietskörperschaften Kapital zu schlagen und politische Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Dieser Arbeitsprozess erfordert ein großes Engagement: zwei zweitägige Präsenzseminare und dazwischen eine Reihe von thematischen Treffen per Videokonferenz. Auch hier war die Qualität des Austauschs ausgezeichnet und es entstanden intensive Verbindungen zwischen den Akteur:innen, Expert:innen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und den Verwaltungen, die im Resonanzraum zusammenkommen. Die Empfehlungen, die zu den beiden bisher behandelten Themen – erstens die Rolle der Gebietskörperschaften und ihrer Bürger:innen bei der ökologischen Transformation, und zweitens Initiativen für eine nachhaltige Stadtentwicklung - erarbeitet wurden, sind sowohl ehrgeizig als auch glaubwürdig.
In welchen Bereichen hat der deutsch-französische Dialog einen Mehrwert gebracht?
Das Zukunftswerk ist mittlerweile zu einem der relevanten Foren des deutsch-französischen Dialogs geworden - ein Dialog an der Schnittstelle zwischen den gesellschaftlichen Veränderungen in beiden Ländern und ihrer institutionellen Umsetzung, ein Dialog, der zu Handlungsempfehlungen führt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Zukunftswerk von der bewährten Tradition des Austauschs zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder. Es unterscheidet sich aber auch von den verschiedenen Formen des Regierungsdialogs – und unterliegt nicht denselben Zwängen.
Die Themen der ersten beiden Arbeitszyklen waren in Politikbereiche eingebettet, deren Umsetzung in Deutschland und Frankreich sich deutlich voneinander unterscheiden, aber gleichzeitig auch recht nahe bei einander liegen konnte. Der Beitrag des Zukunftswerks bestand darin, die Konvergenz von Diagnosen und Lösungsansätzen herauszustellen und so deren Reichweite und Relevanz zu erhöhen.
Das Thema des dritten Zyklus, der gerade erst begonnen hat, ist die Energiewende. Es ist klar, dass dieses Thema in den Beziehungen zwischen den beiden Regierungen sehr viel komplizierter ist, da grundlegende Entscheidungen, insbesondere über den Stellenwert der Kernenergie, zum Teil weit auseinander liegen. Gleichzeitig kann auf lokaler Ebene viel für Energieeffizienz, Suffizienz und innovative Lösungen im Bereich der kohlenstoffarmen Nutzung getan werden, und in den Gebietskörperschaften beider Länder wird auch tatsächlich viel getan. Dadurch werden die potenziellen Gegensätze zwar nicht überwunden, aber sie werden in ein differenzierteres Gesamtbild eingebettet. Mit dem Thema des dritten Arbeitszyklus steht das Zukunftswerk vor einer neuen und großen Herausforderung – und es kann sich bemühen, hier einen signifikanten Mehrwert zu erzielen.
Wenn Sie drei Themen nennen müssten, die in den vom Zukunftswerk erarbeiteten Empfehlungen besonders wichtig sind, welche wären das?
Der Zyklus über die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im ökologischen Wandel hat die Vielzahl der Wege aufgezeigt, mit denen sie einen konkreten Beitrag leisten können. Ein besonders anschauliches Beispiel war ihre Rolle im Bereich der Ernährung, insbesondere in Schulkantinen und anderen Formen der Gemeinschaftsverpflegung. Dort lassen sich gute Konsumgewohnheiten entwickeln und Entscheidungen für einen Konsum fördern, der näher an der lokalen Produktion liegt, den Umweltbedingungen der Lebensmittelproduktion mehr Aufmerksamkeit schenkt und zudem gesünder ist.
Im Bereich der nachhaltigen Stadtentwicklung wurde sehr schnell klar, dass die Verfügung über den öffentlichen Raum die Entwicklung der Verteilung der Funktionen – Wohnungen, Fabriken, Büros, Geschäfte, öffentliche Dienstleistungen – bedingt. Eine gezielte Gestaltung des öffentlichen Raums eröffnet die Möglichkeit, sich in Richtung grünerer Städte zu bewegen, sanftere Mobilitätsformen zu begünstigen und die Lebensqualität zu erhöhen. Um dies zu erreichen, müssen die Organisation des Verkehrs, die Stadtplanung und Initiativen zur Begrünung schon früh in den Überlegungen miteinander verknüpft werden.
In den ersten beiden Arbeitszyklen gab es einen gemeinsamen Faktor: die Notwendigkeit für die Gemeinden, sich sinnvolle Wege zu überlegen, wie sie ihre Bürger:innen in die Entscheidungsfindung einbeziehen können. Niemand soll sich vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen fühlen, aber dieser muss innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens abgeschlossen werden können. Die gewählten Volksvertreter:innen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich das letzte Wort haben, müssen die Möglichkeit haben, ihre Entscheidungen unter Bedingungen zu treffen, die als demokratisch gestaltet und damit dauerhaft legitimiert anerkannt werden.
Wenn Sie an die nächsten Jahre der Tätigkeit des Zukunftswerks denken, wo sehen Sie Potenzial, um dieses wichtige Instrument der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu verbessern?
Die am deutsch-französischen Dialog beteiligten Kreise kennen das Zukunftswerk und schätzen seine Arbeit. Fachleute für den ökologischen Wandel oder die nachhaltige Stadtentwicklung haben die Empfehlungen zur Kenntnis genommen. Nun gilt es, dieses Publikum zu vergrößern und seine territoriale Verankerung auszuweiten und zu vertiefen. Es wird darum gehen, auf Dauer eine enge Verbindung zu all den Gebietskörperschaften aufrechtzuerhalten, die sich von Anfang an engagiert haben, und dabei geht es um einen größeren Kreis als den der Schlüsselakteur:innen der ersten drei Arbeitszyklen. Dieses langsam entstehende Netzwerk müssen wir ausbauen und lebendig halten; die Anzahl der beteiligten Akteur:innen muss erhöht werden – all dies sind mögliche Zukunftsperspektiven. Das Zukunftswerk hat eine solide Arbeitsmethode entwickelt. Nun muss sie mit Leben erfüllt werden und der Ansatz und die Ergebnisse müssen in unseren beiden Ländern bekannt gemacht werden.