Wo wird sich die Stadt der Zukunft konstruieren? Denkanstöße in Deutschland und Frankreich
Mit den Hitzewellen der letzten Jahre hat sich die Anpassung an den Klimawandel von einem vagen Konzept zu einer dringlichen Realität entwickelt – zumindest was die Vermeidung von städtischen Wärmeinseln betrifft. Wir brauchen Grünflächen und Bäume, um die Temperaturen in unseren Städten effektiv zu senken. Wo kann überhaupt noch nachverdichtet werden, ohne Grünflächen zu opfern? Wie lassen sich Verkehrsflächen umnutzen? Wie bestehende Gebäude umbauen? Die Antworten auf diese Fragen sind von Stadt zu Stadt sehr verschieden und hängen von ihrer jeweiligen Geschichte, ihrer wirtschaftlichen Dynamik und vielen anderen Faktoren ab. Ein Element verbindet jedoch alle Städte: die Frage nach der Nutzung brachliegender Flächen. Der Freiraum ist der Ort, an dem verschiedene Prioritäten miteinander konkurrieren: Wollen wir Wohnraum schaffen oder die Biodiversität schützen? Den Handel fördern oder gemeinwohlorientierten Projekten Raum geben? Das Thema ist nicht neu: Seit dem 1972 vom Club of Rome veröffentlichten Bericht Die Grenzen des Wachstums ist klar: Wir müssen uns überlegen, wie wir mit diesen sich verändernden Orten umgehen. Mit welchen politischen Hebeln können wir also Nachhaltigkeit in unsere Städte bringen?
Ordnungsrechtliches Arbeiten und Beratung
Andrea Gebhard sieht zwei entscheidende Pfeiler, damit die Transformation gelingen kann: „Zunächst einmal müssen wir ordnungsrechtlich arbeiten: Bei jedem neuen Bauvorhaben muss ich Freiflächen mit einplanen bzw. berücksichtigen.“ München hat seit 1996 eine Begrünungssatzung. In ihr wird geregelt, wie Freiflächen von bebauten Grundstücken auszustatten und bauliche Anlagen zu begrünen sind. Es sollte möglich sein, diese Satzung bundesweit umzusetzen.
Ähnliches gilt für die Umbauordnung, die Andrea Gebhard und zahlreiche andere Vertreter:innen der Baubranche fordern. „Der Bausektor ist weltweit für fast 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Deshalb ist es entscheidend, mit den Gebäuden zu arbeiten, die bereits existieren, anstatt sie abzureißen und klimafreundliche Gebäude neu zu bauen“, so die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Mit einer Umbauordnung ließe sich endlich eine nachhaltige Umbaukultur entwickeln und bauordnungsrechtliche Hürden beseitigen. So könnte man beispielsweise ein Einfamilienhaus problemlos aufstocken, ohne in eine andere Gebäudeklasse zu fallen.
Den zweiten großen Hebel sieht Andrea Gebhard in der Beratung: „Ob Architektur, Landschaftsarchitektur, Städtebau oder Innenarchitektur: Es ist notwendig, dass wir alle zu Nachhaltigkeitsexpert:innen werden“, so Gebhard. Um diese Expertise auch sinnvoll einzusetzen, braucht es eine entsprechende Förderung. Ausschreibungen sollten zum Beispiel nur dann gewonnen werden können, wenn diese Nachhaltigkeitsexpertise vorhanden ist.
Intensive und extensive Städte in Frankreich: ein Dilemma
Da den meisten französischen Departements in diesem Sommer eine weitere Dürre droht, ist das Wassermanagement absolute Priorität – auch in den Städten. Große Teile des städtischen Raums sind mit Beton oder Stein überbaut, sie sind „mineralisch“. Dadurch erreichen wir vor allem im Süden Frankreichs unvergleichbar hohe Temperaturen. „Wir müssen den natürlichen Boden in der Stadt wiederfinden“, so François Leclercq. „Wir müssen Freiflächen schaffen, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum.“ Zwei gegenläufige Trends machen diese Suche zu einer Herausforderung: Im letzten Jahr fehlte es Frankreich an 250.000 Wohnungen. Zugleich möchten weder Bürger:innen noch Kommunalpolitiker:innen Städte noch dichter besiedeln. Landwirtschaftliche Nutzflächen dürfen nicht besiedelt werden, was ein Ausweiten der Städte kaum möglich macht. Die Stadt darf sich weder verdichten, noch extensivieren. Unter dem Druck der wachsenden Bevölkerungsdichte konzentrieren sich alle Erwartungen auf die letzten freien Flächen in der Stadt.
Gewerbegebiete und Wohnblöcke neu denken
Für François Leclercq lautet die größte Frage: „Wo wird sich die Stadt der Zukunft konstruieren?“ Möglichkeiten gibt es ihm zufolge tausende. Besonders interessant erscheinen ihm jedoch die folgenden:
Gewerbegebiete haben ausgedient. Heute befinden sich Einkaufsmöglichkeiten häufig in großen Zonen am Stadtrand. Dieses Modell bröckelt, hier ließe sich enorm viel Fläche gewinnen. Deshalb arbeitet der Staat mit großen Handelsketten wie Carrefour daran, das Modell neu zu denken. „Ebenso neu denken sollten wir Wohnblöcke“, so Leclercq. Die massiven Blöcke der 1980er- und 1990er-Jahre will heute niemand mehr haben, dennoch gibt es neue, leichtere Varianten, die das individuelle Wohnen auf Dauer ablösen könnten. Der Anbau an existierende Gebäude – vor allem in Höhe – ist ein weiterer Hebel ebenso wie Büroräume, die heute häufig ungenutzt sind, da sich unsere Arbeitsgewohnheiten geändert haben. Hier muss man sich fragen, wie Büroräume ohne große Umbauarbeiten in Wohnraum umfunktioniert werden können.
Eine Schlüsselrolle bei der Suche nach Erdboden in der Stadt ist die Umnutzung von Verkehrsflächen. Zahlreiche Städte setzen sich für die Reduzierung der Autofahrspuren ein, wie das Beispiel der Sonnenstraße in München zeigt. Dies ist eines der Themen, zu denen das Deutsch-Französische Zukunftswerk im Resonanzraum gemeinsam mit seinen Partnerstädten eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet.
Der Ansatz, auf Existierendem aufzubauen, deckt sich in beiden Ländern. Auch bei Gewerbegebieten sieht es laut Andrea Gebhard in Deutschland ähnlich aus wie in Frankreich. Lediglich um das einfacher erscheinende Baurecht beneidet sie die französischen Kolleg:innen: „In Deutschland müssen wir beim Wohnungsbau insgesamt 3.600 Normen anwenden. In Frankreich lässt es sich da einfacher bauen. Gebäudedecken müssen in Deutschland zum Beispiel mindestens 40 cm dick sein, in Frankreich manchmal nur 20 cm. Wenn man in Deutschland ein älteres Gebäude aufstocken möchte, müsste man den gesamten Boden herausreißen und neu bauen. Der Komfortanspruch, der an einigen Stellen bei uns höher ist – zum Beispiel das Wohnen ohne akustische Störung durch die Nachbarn – hindert leider gelegentlich auch beim Umbau.“ Andrea Gebhard ist überzeugt: „Wir können mit dem, was wir haben, die Transformation ohne Weiteres schaffen, wenn wir es wollen. Politik ist hier enorm wichtig, mit der Förderung und mit dem Ordnungsrecht.“
Unsere Expert:innen
Andrea Gebhard wurde 2021 zur Präsidentin der Bundesarchitektenkammer gewählt. Sie ist eine erfahrene Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin. Als Mitglied in verschiedenen Kammern und Organisationen – darunter die Bayerische Architektenkammer, der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten und das Kuratorium für Nationale Stadtentwicklung – engagiert sie sich seit vielen Jahren berufspolitisch. Im Jahr 2022 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden des Stiftungsrats der Bundesstiftung Baukultur gewählt.
François Leclercq ist Architekt und Stadtplaner. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses des Atelier International du Grand Paris und hat zur Erstellung des Berichts der Mission de réflexion sur le Grand Paris beigetragen. Im Jahr 2021 wurde er gemeinsam mit Laurent Girometti vom französischen Ministerium für Wohnungsbau mit der Erstellung eines Referenzrahmens für hochwertigen Wohnraum in Frankreich beauftragt. Leclercq hat an Hochschulen unterrichtet und mehrere Bücher veröffentlicht.