Auf neuen Pfaden
Von Stephanie Hesse
Übersetzt ins Französische von Stephanie Hesse
Während Angela Merkel und Emmanuel Macron mit der Unterzeichnung des Aachener Vertrags die deutsch-französische Freundschaft erneuerten, wateten zwei Kolleginnen – Patrizia Nanz und Anne-Gaëlle Javelle – durch den Düppeler Forst. Ihre Gespräche drehten sich nicht um knackendes Gehölz, sondern um die Stellschrauben in der Politik: Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich laufen gut. Die Städtepartnerschaften sind das Urgestein der deutsch-französischen Begegnung auf lokaler Ebene. Wie können wir diese Dynamik und das gegenseitige Vertrauen nutzen, um Dinge vor Ort – in den Städten und Gemeinden – anzustoßen?
Die Antwort war klar: Es braucht die Verbindung von der lokalen zur nationalen Ebene. Denn, so der zentrale Gedanke: „Die Menschen vor Ort und die nationale Politik müssen miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Anne-Gaëlle Javelle, die das Berliner Büro des Zukunftswerks von 2020 bis 2023 leitete. „In Gesetzesbüchern wird der Wandel beschlossen. Von den Menschen vor Ort wird der Wandel gemacht.“
Der Umsetzung dieser Idee gingen politische Bemühungen voraus. Nach der Unterzeichnung des Aachener Vertrags tagte im Oktober 2019 der Deutsch-Französische Ministerrat in Toulouse und verabschiedete ein Konzept für das Deutsch-Französische Zukunftswerk, dass sich „den Transformationsprozessen in unseren Gesellschaften widmen wird und sich dabei unter anderem von der VN-Nachhaltigkeitsagenda 2030 leiten lassen wird.“ Die Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung brachten sich bei den Vorverhandlungen entscheidend ein. Auf deutscher Seite wurde ein deutsch-französisches Team am RIFS Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am GFZ mit der Umsetzung des Konzepts beauftragt, in Frankreich erhielt die staatliche Politikanalyseeinrichtung France Stratégie unter Leitung von Gilles de Margerie den Auftrag. Marie-Cécile Milliat, Teil des Teams in Paris seit der ersten Stunde blickt auf die Entstehung des Zukunftswerks zurück: „Über die zwei Zeilen von Artikel 22 des Aachener Vertrags hinaus haben sich die beiden Teams darum bemüht, die bestmöglichen Formen des Dialogs und der gemeinsamen Gestaltung zwischen deutschen und französischen Akteuren zu entwickeln, die aus unterschiedlichen Kontexten stammen und daran interessiert sind, auf neue, ja sogar disruptive Weise zusammenzuarbeiten.“
Von internationaler Diplomatie zu lokaler Realität – und umgekehrt
Was bis dato fehlte, war der Blick über die Städtepartnerschaften hinaus, um zu fragen: Was können wir uns von anderen Städten in beiden Ländern abschauen, um Mobilitäts- und Energiewende, Klimaanpassung und ökonomische Resilienz zu stärken? Schnell wurde klar, dass das Zukunftswerk diese horizontale (zwischen den lokalen Akteuren) und vertikale (bottom-up) Wissensvermittlung leisten kann. Es sollte zu einem Partizipationsformat für Kommunen werden, damit die nationale Politik sich stärker aus dem Alltag vor Ort speist.
Als gemeinsames Projekt von France Stratégie und dem RIFS hat das Zukunftswerk eine besondere Ambition. Anne-Gaëlle beschreibt: „Wir wollten keine punktuelle Begegnung mit Bürgermeister:innen organisieren und aus der Ferne recherchieren. Wir wollten eintauchen in die lokalen Gegebenheiten und Akteure über mehrere Tage und Wochen vor Ort begleiten.“
Unter der aufmerksamen Leitung der beiden ersten Co-Sekretär:innen Patrizia Nanz (Deutschland) und Gilles de Margerie (Frankreich) entfaltete sich ein ganzes Bündel an Kompetenzen im stets besonderen Rahmen der deutsch-französischen Beziehungen – mit Expert:innen, die sich mit der Analyse öffentlicher Politiken, der Identifizierung innovativer Gebietskörperschaften, den Formen der Bürgerbeteiligung, der Leitung binationaler Arbeitsgruppen, Fragen der Governance und der Modernisierung öffentlichen Handelns sowie mit kommunikativer Expertise auskennen.
Während der gesamten Arbeitszyklen des Zukunftswerks verfolgten die Mitglieder des Sekretariats ein gemeinsames Ziel: konkrete und hochwertige Empfehlungen zu erarbeiten. Dieses Ziel blieb auch unter der Leitung der beiden weiteren Co-Sekretär:innen zur Halbzeit, Sabine Buis (Frankreich) und Frank Baasner (Deutschland), unverändert – ebenso wie mit dem Eintritt neuer engagierter Kräfte auf französischer Seite (Sarah Bronsard) sowie auf deutscher Seite (z.B. Lale Eckardt als neue Geschäftsführung).
Dialogformate, die den Unterschied machen
Die Themen könnten drängender nicht sein: Großstädte wie Lyon müssen sich an zunehmende Hitzewellen anpassen. Die Bretagne bereitet sich auf ansteigende Überschwemmungen vor. Gemeinden wie das sachsen-anhaltische Zeitz müssen sich durch den Kohleausstieg in ihrer Region neu erfinden. Doch bisher fehlte ein Raum, in dem lokale Herausforderungen, nationale Strategien und bilaterales Lernen systematisch zusammenkommen. Genau hier setzt das Zukunftswerk an – mit Dialogen, die bewusst neue Zielgruppen ansprechen.
„In unseren Dialogen haben wir uns eben nicht mit den ‚üblichen Verdächtigen‘ beschäftigt“, erklärt Marion Davenas aus dem Dialog- und Forschungsteam. „Wir adressieren Kommunen in Deutschland und Frankreich, die das andere Land nicht so gut kennen.“ Um bewährte Netzwerke zu erweitern, öffnet das Zukunftswerk neue Türen – nach Ostdeutschland, nach Pau, nach Brest.
Und es bleibt nicht bei Gesprächen. Die Dialogformate des Zukunftswerks sind Teil der Forschung selbst: Sie liefern qualitative Daten für politische Empfehlungen, sind sorgfältig kuratiert und mit klarer Zielsetzung moderiert. Das Projekt entwickelte sich zügig weiter – mit über 100 Dialogen und weit über 1 000 Dialogteilnehmende in wenigen Jahren. Die Pandemie führte zu einer steilen Lernkurve, was digitale Austauschformate betrifft.

Zweisprachigkeit, die Brücken baut
„Zu diesem Lernprozess gehört auch, wie wir die Zusammenarbeit mit den Dolmetscher:innen gestalten“, so Marion. Jeder Dialog des Zukunftswerks wird simultan verdolmetscht. Die Dolmetscher:innen werden vor jeder Sitzung gebrieft über das Thema, sie erhalten ein Glossar mit den wichtigsten Übersetzungen von Fachbegriffen. In der Moderation selbst achtet das Team auf die Zeitversetzung, die sogenannte décalage, die durch die Übersetzung entsteht. „Am besten ist eine Verdolmetschung, wenn man sie vergisst“, sagt Marion. Wenn die Teilnehmenden nicht mehr merken, dass sie mit jemandem im Flow diskutieren, der gar nicht ihre Sprache spricht, ruft das bei vielen Faszination hervor. Ilham Hansen-Jafaar und Claire Lochet, die zum Dolmetscher:innen-Team gehören, das für das Zukunftswerk arbeitete, finden genau diese Doppelrolle spannend: „Es ist schön, im Hintergrund zu bleiben und für das Gespräch dennoch unersetzlich zu sein.“ Und sie ergänzen: „Genauso toll ist es, eine Vielfalt an Stimmen zu übertragen und lokale Erfahrungen durch die Verdolmetschung erfahrbar zu machen: Auf einmal reist man sprichwörtlich nach Loos-en-Gohelle, nach Siegen, nach Clermont-Ferrand…“
Damit der Austausch fruchtbarer ist, gibt es immer inhaltlichen Input: Kurze Präsentationen, Infografiken zu Beginn, ein Video, Umfragen oder Blitzlichtrunden – das alles hilft, um sehr fachliche Themen dynamischer und unterhaltsamer zu gestalten. „Im Zukunftswerk moderieren wir fast immer im Tandem – eine Person spricht Deutsch, die andere Französisch“, so Marion. „Einem verdolmetschten Austausch zu folgen, erfordert hohe Konzentration und kann auf Dauer anstrengend sein. Durch die zweisprachige Moderation vermeiden wir, dass ein Teil der Teilnehmenden die gesamte Veranstaltung ausschließlich über die Verdolmetschung verfolgen muss. So gelingt es uns, die Aufmerksamkeit besser aufrechtzuerhalten.“ Technischer Support ist dabei unerlässlich, vor allem für die Verdolmetschung, wie Ilham bestätigt: „Eine schlechte Internetverbindung, fehlende Headsets, Verzögerungen in der Übertragung – all das erschwert die Arbeit. Das mitzudenken, ist Gold wert!“
Alle Tipps und Tricks, die sich für die Dialogmoderation bewährt haben, hat das Team in einem Leitfaden zur Online-Moderation zusammengefasst. Er steht allen Interessierten zur Verfügung, die ihre Online-Dialoge lebendig und abwechslungsreich gestalten möchten.
Die sprachliche Barriere zu überwinden ist nicht nur ein technischer Akt, sondern auch ein kultureller. Die Übersetzerinnen Marie und Annette helfen, Begriffe wie „KfW“ verständlich zu machen – mit zusätzlichen Erklärungen und französischen Vergleichsbeispielen. Diese helfen in den Publikationen des Zukunftswerks wie den Factsheets und Studien ein schnelles Verständnis der unterschiedlichen Systeme und Institutionen in beiden Ländern herzustellen.
Kollaborationsplattform Linqa – Austausch, der weitergeht
Kein Dialog ist nachhaltig, wenn er nicht über den Moment hinauswirkt. Um die Community of Practice auch langfristig zu stärken, entwickelte das Zukunftswerk gemeinsam mit DMX Systems eine zweisprachige Kollaborationsplattform.
„Wir wollten nicht der Flaschenhals des Austauschs sein, der ohne Moderation, ohne Verdolmetschung und ohne Präsenz im Sande versickert“, sagen Adam Naber und Robin Denz, die das Tool mit dem Dienstleister konzipierten und betreuten. Ziel war es, einen Raum zu schaffen, in dem Diskussionen weitergeführt, Dokumente geteilt und Ideen gemeinsam entwickelt werden können.
Linqa nutzt DeepL für automatische Übersetzungen. Das Tool erlaubt es, hochgeladene Dokumente, Notizen und Kommentare sofort übersetzen zu lassen. „Besonders spannend war für uns der Ansatz, Sprachen unhierarchisiert abzubilden“, so Adam. „Übersetzung und Original sind gekennzeichnet. Bei vielen Tools wird jedoch eine Sprache ausgeblendet, während die andere angezeigt wird. Das ist bei Linqa nicht der Fall: Man sieht immer beide Sprachen als Paralleltexte abgebildet. Für uns entspricht das unseren Grundwerten von einem deutsch-französischen Austausch auf Augenhöhe.“
Warum nicht einfach Facebook-Gruppen & Co. nutzen, denken einige. „Das Zukunftswerk legt größten Wert darauf, geschützte Räume zu öffnen“, so Robin. „Wir sprechen über komplexe Probleme, zum Teil sensible Daten und Hintergrundinformationen. Ein geschützter, datenschutzkonformer Raum ist unbedingt notwendig, um trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen einen ehrlichen Dialog führen zu können.“

Der Quellcode der Kollaborationsplattform ist frei zugänglich. Das bedeutet: Jede interessierte Organisation kann das Tool nachnutzen oder für andere Sprachkombinationen adaptieren.
Begegnung als Teil der Lösung
Was als Idee im Wald begann, ist heute ein pulsierendes Netzwerk des Austauschs, das lokale Erfahrungen sichtbar macht, nationale Politik inspiriert und grenzüberschreitendes Lernen ermöglicht.
Für Lale Eckardt beweist die Arbeit des Zukunftswerks mit den lokalen Akteuren: „Wir müssen Europas Weg in eine nachhaltige Zukunft gleichermaßen von unten und oben denken. Lösungen, die wirklich tragen, entstehen aus dem konkreten Umsetzungswissen vor Ort, einem konstruktiven Austausch unterschiedlicher Perspektiven und dem Blick über den Tellerrand ins andere Land. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk hat in den letzten fünf Jahren ein großes Experiment gewagt und viel erreicht. Wir haben neue Gesichter und Akteure einen deutsch-französischen Dialog gebracht, der Handeln für mehr Nachhaltigkeit nicht nur diskutiert, sondern handfest unterstützt. Darauf können wir aufbauen!“