Transdisziplinarität und lokaler Ansatz auf dem Prüfstand

Von Dr. Julia Plessing
Übersetzt ins Französische von Marie Millot-Courtois
In den letzten fünf Jahren hat das Zukunftswerk ca. 100 deutsch-französische Dialoge – digital und in Präsenz – durchgeführt. Die Ergebnisse der Dialoge, Hintergrundrecherchen und Forschung haben wir in mehr als 50 Publikationen – Studien, Factsheets, Empfehlungen und Leitfäden – zumeist in beiden Sprachen festgehalten und disseminiert. Im Ergebnis können wir klar erkennen: Der deutsch-französische Austausch hat gefruchtet. Fachmenschen der kommunalen Energiewende, des Klimaschutzes und der Klimaanpassung sowie der nachhaltigen Stadtentwicklung, die sich sonst eher nicht im deutsch-französischen Umfeld begegnen, bekamen die Möglichkeit Einblicke in, und Inspiration aus dem jeweils anderen Land zu erhalten. Von 60 Rückmeldungen, die wir auf unsere Umfrage erhalten haben meinten 90 Prozent, dass sie in den Resonanzräumen einen tieferen Einblick in die Transformationspolitiken im eigenen und im anderen Land gewonnen haben.

Transdisziplinarität und Bottom-up-Methode auf dem Prüfstand
Neben dem deutsch-französischen Austausch hat sich das Zukunftswerk zwei methodische Schwerpunkte gesetzt: Erstens nimmt es die lokale Ebene als Ausgangspunkt, denn die Herausforderungen der Transformation machen sich in den Kommunen besonders bemerkbar. Sie benötigen verbesserte Rahmenbedingungen, um sozial und ökologisch nachhaltiger sowie ökonomisch resilienter zu werden. Dieser Ansatz ist bei den Beteiligten auf großes Interesse gestoßen, denn laut einer Expertin der Agora Energiewende:
Auch die Referatsleiterin für den Europäischen Ausschuss der Regionen würdigte die Arbeit des Zukunftswerks bei einem öffentlichen Fachgespräch in Brüssel und betonte, es gebe großen Bedarf auf europäischer Ebene, kommunale Erfahrungen erfahrbar zu machen, damit lokale Besonderheiten berücksichtigt und die territoriale Zusammenarbeit gestärkt werden können.
Zweitens entschied sich das Zukunftswerk für einen transdisziplinären Ansatz – will heißen, dass sich kommunale Vertreter:innen mit Expert:innen aus Wissenschaft, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in deutsch-französischen Dialogen, den sogenannten Resonanzräumen austauschen. Gemeinsam identifizieren sie Hebel und Hürden der Transformation. Der Ansatz hat sich bewährt. In unserer Umfrage stimmten nahezu 100 Prozent der Befragten voll und ganz oder weitgehend zu, dass die Vielfalt der vertretenen Sektoren unter den Teilnehmenden die Diskussionen bereichert hat. Ebenso stimmten 74 Prozent der Befragten voll und ganz oder weitgehend zu, sich während der Veranstaltungen des Zukunftswerks über die Grenzen ihres Fachs hinaus und international vernetzt haben zu können. Bei den Präsenzveranstaltungen stieg die Zustimmung sogar auf über 90 Prozent. 83 Prozent fühlten sich in ihrem Handeln inspiriert und ermutigt.

Welche Wirkung haben die Publikationen des Zukunftswerks?
Der Austausch mündet in der Formulierung von Handlungsempfehlungen an die nationalen bzw. Landesregierungen, so zum Beispiel zu nachhaltigen Ernährungssystemen, kommunaler Bodenpolitik, Suffizienz, sozialen Aspekten der energetischen Gebäudesanierung, zur finanziellen Beteiligung an erneuerbaren Energien oder partizipativen Instrumente der Stadtentwicklung. Die Empfehlungen sind ein Herzstück der Arbeit des Zukunftswerks. Sie verweisen auf die Hebel und Hürden der kommunalen Transformation, erwähnen wichtige Statistiken, bringen kommunale Beispiele und spezifizieren Aktionsvorschläge. Das Alleinstellungsmerkmal ist hier der deutsch-französische Vergleich. Über 80 Prozent der Teilnehmenden unserer Umfrage sahen in der deutsch-französischen Inspiration einen Mehrwert der Handlungsempfehlungen.
Die Empfehlungen werden durch Factsheets und Studien ergänzt. Factsheets erläutern spannende Instrumente und gesetzliche Anreize, so zum Beispiel zu Energy Sharing, Drittnutzerfinanzierung des ÖPNVs in Frankreich oder zu bodenpolitischen Ankaufsinstrumenten. Unsere Studien vertiefen und analysieren kommunale Fallbeispiele, zum Beispiel zu Modellen kooperativer Governance*, Experimentierlösungen oder Wohnsuffizienz. Die Publikationen geben oftmals den Anstoß für Kontaktaufnahme und Initiative im Deutsch-Französischen. So ging die Stadt Berlin auf die Stadt Rennes für einen Austausch zur Mehrfachnutzung öffentlicher Räume zu. Die Timelab Academy aus Gent vernetzte sich nach Lektüre unserer Studie zu partizipativer Kulturarbeit mit der nordfranzösischen Stadt Loos-en-Gohelle. Die Veröffentlichungen stoßen auf Resonanz, nicht nur innerhalb der Verwaltungen aller Ebenen und Fachkreisen. Anfragen für Zweitveröffentlichungen und Artikel zeigen, dass unsere Publikationen auch Medien und Netzwerke erreichen und dort Interesse wecken.
Transfer ist für mehr Wirksamkeit entscheidend
Werden die Empfehlungen des Zukunftswerks umgesetzt? Sie werden von den Regierungen beauftragt, sind für diese jedoch nicht bindend. Sie springen deshalb nicht direkt vom Papier in die Wirklichkeit der Umsetzung. Doch erleben wir, dass die Empfehlungen wichtige Diskurse bündeln und stützten, zum Beispiel zur langfristigen Finanzierung des Klimaschutzes auf kommunaler Ebene. Gleichzeitig öffnen sie politische Gedankenräume, zum Beispiel mit Blick auf die Drittnutzerfinanzierung des ÖPNV in Deutschland oder auf die finanzielle Beteiligung an der Erzeugung von erneuerbaren Energien in Frankreich. So stellen die Handlungsempfehlungen einen Wegstein auf dem Pfad der Transformation dar.
Damit die Arbeitsergebnisse des Zukunftswerks einen noch stärkeren gesellschaftlichen Impact zeigen können, braucht es gegenüber dem bisherigen Projektdesign noch mehr Transfer. Über 90 Prozent der Teilnehmenden an den Resonanzräumen gaben an, dass sie das erlangte Wissen mit anderen geteilt haben. Die außerordentliche Transferphase in unserem dritten Arbeitszyklus zur Energiewende zeigt, dass auf diesem Engagement aufgebaut werden kann und bei einem breiteren Fachpublikum großes Interesse daran besteht, über den Tellerrand zu schauen um nach besseren Lösungen für die Herausforderungen der Transformationen im eigenen Land zu suchen. Deshalb sollten die schriftlichen Arbeitsergebnisse ein Sprungbrett für eine dauerhaft im Projektdesign verankerte Transferphase sein, in der die Umsetzungsmöglichkeiten für Handlungsempfehlungen und Erkenntnisse konkreter und breiter geplant und diskutiert werden.
* Modelle kooperativer Governance werden in folgenden Studien behandelt:
- Plessing, J., Lacombe, S.-F., Hüncke, A. (2025): Nicht ohne (m)einen Verein: Kommunale Multiakteurspartnerschaften für die Energiewende. - RIFS Study, Mai 2025.
- Spinrath, T. E., Plessing, J.: Der Münchner Handlungsraumansatz: Transformation durch agile Verwaltung gestalten. - RIFS Study, November 2023.
- Hüncke, A., Plessing, J., Ratzmann, N. (2022): Kollaborative Klima-Governance in Marburg. Chancen und Hemmnisse auf dem Weg zur Klimaneutralität. - IASS Study, Januar 2022.
- Florentin, D., Veys, M., Robic, N., Faltermeier, K. (2023): Loos-en-Gohelle und sein kulturelles Ökosystem: Partizipative Kulturarbeit als Grundlage für raum-bezogene Identifikation und gesellschaftlichen Zusammenhalt. - RIFS Study, November 2023.