„Sozialer Klimaschutz wird vor Ort gemacht“
Interview geführt von Thomas Spinrath
Übersetzung ins Französische von Annette Kulzer und Marion Davenas
Grit Stillger, Chemnitz ist Ihre Heimatstadt. Sie sind hier geboren und gestalten seit 30 Jahren aktiv die Stadterneuerung in Chemnitz. Wohin führen Sie Besucher:innen als erstes, um zu zeigen, was Chemnitz heute ausmacht?
Für mich gibt es zwei Orte, die ich gerne zeige. Das erste ist das unmittelbare Zentrum um das Rathaus herum. Das war unser größtes Stadterneuerungsprojekt. Wir haben den öffentlichen Raum neu geordnet, begrünt, attraktiv gemacht für Fußgänger und für die Bevölkerung zum Einkaufen. Den Qualitätsgewinn kann man nur nachvollziehen, wenn man sich anschaut, wie Chemnitz vor der Wende aussah, als Modell der DDR-Baukultur. Ein heute noch gut sichtbares Beispiel für die damalige Baukultur ist der monolithische Baukörper hinter dem Karl-Marx-Monument. Seit der politischen Wende bieten sich viel bessere Möglichkeiten, diese Stadt zu erneuern und gemeinsam mit den Menschen zu gestalten.
Und der zweite Ort?
Das Quartier am Brühl, was auch ganz nah an der Innenstadt ist. Nach der Wende – Chemnitz wurde zur schrumpfenden Stadt – war das Quartier nicht mehr gefragt. Es gab rund 80 Prozent Leerstand. 2012 haben wir mit der Stadtsanierung begonnen, ein Brühl-Management aufgebaut und viele Akteure eingebunden. Heute hat der Brühl ein sehr frohes Erscheinungsbild mit renovierten Fassaden in warmen Tönen, manche auch mit Fassadenkunst. Das Quartier ist attraktiv als Wohnstandort, als Arbeitsort, als Ort für Kultur und Freizeit. Das ist uns innerhalb von 10 Jahren, also in sehr kurzer Zeit, gelungen. Da können wir stolz drauf sein und das möchte ich zeigen.
Die erfolgreiche Energiewende am Brühl machen vor allem zwei Bausteine aus: Die Sanierung der meisten Gebäude sowie der Aufbau eines Low-Ex-Wärmenetzes, das Solarthermie integriert. Angesichts der hohen Investitionen könnte ich nun vermuten, dass der Brühl zu einem Luxusquartier geworden ist…
Dank der Städtebauförderung vom Freistaat Sachsen und des Bundes ist das zum Glück nicht der Fall. Wir haben eine hohe soziale Mischung im Quartier. Erstmalig konnten wir als Pilotprojekt Mittel aus der Städtebauförderung für die Erschließungsmaßnahme eines modernen Wärmenetzes mit niedrigerer Temperatur nutzen. Der Wärmenetzversorger hat zudem die Anschlusskosten für die Gebäude auf die Hälfte reduziert – mit modernster Anschlussstation. Die Kaltmieten im Quartier liegen nach der Sanierung zwischen etwa fünf und zwölf Euro pro Quadratmeter. Für einige Jahre gibt es auch eine Preisgarantie für die Wärme. Das ist aber etwas, was man nicht beliebig wiederholen kann. Städtebauförderung kann ich nicht immer wieder dafür einsetzen. Grundsätzlich stellt sich also die Herausforderung, dass hohe Investitionen nötig sind, um solche Quartiere umzugestalten, Netze auszubauen, energetische Sanierungen an Gebäuden durchzuführen.
Die Kosten müssen gedeckt werden...
... und es wäre sozial ungerecht, sie alle auf den Mieter umzulegen. Es ist eine herausfordernde Situation. Angesichts der kurzen Zeit, die uns bleibt, um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir gigantische Investitionen tätigen - zum Beispiel in die Erzeugerparks. Das wollen und können der Energieversorger und wir als Kommune nicht alles auf die Verbraucherpreise umlegen. Daher entstehen Finanzierungslücken. Wir brauchen eine gerechte Kostenteilung und in einer Stadt wie Chemnitz auch finanzielle Förderung und Unterstützung.
Im Zukunftswerk diskutieren Sie gemeinsam mit Vertreter:innen anderer Städte, wie Kommunen von den Regierungen besser unterstützt werden können. Welche Botschaft möchten Sie nach Berlin und Paris senden?
Mein Wunsch an die Regierungen ist: Hört genau zu und schaut genau hin, was wir vor Ort brauchen. Denn letztendlich wird der Klimaschutz ja vor Ort gemacht. Ein gutes Beispiel ist für mich die neue EU-Gebäuderichtlinie. Die greift genau die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit auf. Sie regelt, wie Informationen an den Verbraucher und an die Mieter zur Energiebilanz, zum Heizungssystem oder zu den Kosten im Gebäude weitergegeben werden. Unsere Erwartung ist, dass die Umsetzung jetzt auf der nationalen Ebene vom Bund und über die Länder möglichst schnell geregelt wird und unsere lokalen Gegebenheiten mit aufgreift. Ich hoffe, dass das durch die sächsischen Landtagswahlen im September nicht blockiert oder verzögert wird.
Ende September holt das Zukunftswerk französische und deutsche Akteur:innen nach Chemnitz, um in interdisziplinären Workshops, in dem sogenannten Resonanzraum, Handlungsempfehlungen an die nationale Politik zu erarbeiten. Welchen konkreten Mehrwert bringt Ihnen der binationale Austausch?
Mich inspiriert die lösungsorientierte Haltung der französischen Kollegen: Ich habe den Eindruck, dass dort nicht so lange wie bei uns in Deutschland gegrübelt wird. Sie sagen: Wir machen das jetzt mal, wir treffen diese Entscheidung. Sie sind zuversichtlich, auch wenn es vielleicht ein Risiko gibt. Und es hilft, dass wir über alle Ebenen miteinander in den Austausch gehen. Also nicht nur die Kommunen miteinander, sondern auch die regionalen und nationalen Ebenen bis hin zu den Vertretern der Ministerien. Ich freue mich, kurz bevor Chemnitz 2025 Europäische Kulturhauptstadt ist, den Gästen aus beiden Ländern zeigen zu können, dass wir eine interessante, lebenswerte Stadt mit vielen Ideen sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Grit Stillger ist Bauingenieurin und leitet seit 1998 die Abteilung Stadterneuerung im Stadtplanungsamt in Chemnitz. Durch integrierte Handlungskonzepte für Quartiere steuert sie die nachhaltige Stadtentwicklung und bündelt dabei Programme der Städtebauförderung und der EU. Sie ist im Energieteam der Stadt und in Projekten zur energetischen Stadtsanierung aktiv.