Flickenteppich oder echter Hebel für die sozial gerechte Energiewende?
Von Robin Denz
Übersetzung ins Französische von Anaïs Picart und Robin Denz
Die Gemeinde Montigny-lès-Metz in der Eurométropole de Metz ist ein Beispiel dafür, wie dieses Konzept erfolgreich umgesetzt werden kann. Ende 2023 ging hier eine Photovoltaik-Freiflächenanlage als Energy-Sharing-Projekt ans Netz. Die Anlage, entwickelt von der Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Stromversorger UEM und dem Bauunternehmen Demathieu, produziert jährlich 305 MWh Strom. Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von etwa 60 Haushalten. Davon werden 85 Prozent für kommunale Gebäude wie das Rathaus, Schulen und ein Schwimmbad verwendet, die restlichen 15 Prozent fließen in den Betrieb von Demathieu. Bis zu 20 Prozent des Strombedarfs der Gebäude können damit gedeckt und CO2-Einsparungen in Höhe von 650 Tonnen erreicht werden. Für die Kommune bedeutet das Projekt vor allem günstigere und stabile Stromkosten in Zeiten von krisenbedingten Preisschwankungen auf dem Strommarkt.
Frankreich ist Vorreiter für Energy Sharing in Europa
In Frankreich ist Energy Sharing seit 2016 im Energiegesetzbuch verankert. Bis Juni 2024 wurden 454 Projekte mit einer Gesamtleistung von 38 Megawatt realisiert. Das entspricht zwar nur knapp einem Prozent der 2023 neu installierten Leistung, aber mit einer Wachstumsrate von 100 Prozent verdoppelt sich die Zahl der Projekte derzeit jährlich. Expert:innen gehen davon aus, dass bis 2030 mindestens zehn Prozent der neu installierten Leistung in Frankreich durch Energy Sharing gedeckt werden könnten. Ein Katalysator-Potenzial ist also vorhanden – trotz technischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen, mit denen das Konzept derzeit noch verbunden ist.
In Deutschland hingegen fehlt weiterhin ein klarer Rechtsrahmen, obwohl das Potenzial groß ist: Laut einer Analyse des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) könnten bis zu 35 Prozent der Ausbauziele für 2030 durch Energy Sharing erreicht werden.
In Deutschland gibt es bereits zahlreiche Bürgerenergiegemeinschaften, die gemeinschaftlich Strom erzeugen, ihn aber nicht selbst verbrauchen. Das Umweltbundesamt (UBA) kommt in einer Bestandsaufnahme zwar zum Ergebnis, dass Energy Sharing theoretisch möglich ist, bürokratische und technische Hindernisse dies jedoch massiv erschweren. Weil Bürgerenergiegesellschaften den komplexen Verpflichtungen eines Energieversorgungsunternehmens unterliegen würden und zudem der Roll-out des Smart Meters nur zaghaft vorankommt, ist es in der Praxis nahezu unmöglich, den erzeugten Strom gemeinsam zu verbrauchen oder den Überschuss anderen Verbraucher:innen zu verkaufen. Seit 2021 haben sich die Regierungsparteien vorgenommen, die Rahmenbedingungen für Energy Sharing zu verbessern – bisher ohne konkrete Erfolge.
Die Herausforderung für die Zukunft: Skalierung
Beispiele wie Montigny-lès-Metz zeigen auch, wo Energy-Sharing-Projekte noch an ihre Grenzen kommen: Die erfolgreiche Umsetzung war neben förderlichen Gesetzesänderungen vor allem aufgrund der geringen Anzahl an beteiligten Akteur:innen möglich. Für Souhail Nazih, Leiter Photovoltaik und Energy Sharing bei UEM, ist klar: „Die große Herausforderung für die Zukunft besteht darin, Energy Sharing zu skalieren und Projekte mit einer Vielzahl an privaten Verbraucher:innen zu entwickeln.“ Das bekräftigt auch Titouan Cavan von der Energy-Sharing-Agentur Enogrid während des Energy-Sharing-Fachtags 2024 (Journée de l'autoconsommation collective): Eine zentrale Aufgabe wird es sein, Automatisierungs-Tools zu entwickeln, die eine Skalierung von wenigen hundert Projekten im Jahr auf mehrere tausend pro Woche ermöglichen.
Solidarität und soziale Teilhabe stärken, Energiearmut bekämpfen
Für Rémi Bastien von Enogrid ist die Entwicklung von Automatisierungs-Tools nicht nur Bedingung für Wirtschaftlichkeit und Massifizierung von Energy Sharing, sondern bietet auch Potenziale, um Kosten weiter zu senken und von Energiearmut gefährdete Menschen mit günstigen Tarifen oder kostenlosem Überschussstrom zu versorgen. Dafür gibt es bereits unterschiedliche Möglichkeiten:
Einerseits können Sozialwohnungsvermieter:innen selbst erzeugten Strom in den Gemeinschaftsbereichen der Gebäude direkt verbrauchen und den Überschuss vergünstigt oder kostenlos über Energy Sharing mit den Mieter:innen teilen.
Andererseits gibt es auch Energiegemeinschaften mit solidarischer Preisgestaltung, wie zum Beispiel das Energy-Sharing-Projekt ECLAIR der Kooperative CIREN in Rennes. Menschen in Energie-Prekarität erhalten Strom, der etwa nur halb so teuer ist wie der staatlich festgelegte EDF-Tarif.
Das Netzwerk der AMEP bietet an, den Überschussstrom von Energy-Sharing-Gemeinschaften ganz oder teilweise an von Energiearmut gefährdete Menschen zu verschenken. Eine Hürde ist das fehlende Wissen darüber, wer diese Menschen sind. Hier muss mit Akteuren wie den für Frankreich spezifischen kommunalen Zentren für soziale Aktion (centre communal d'action sociale, CCAS) oder Programmen wie SLIME zusammengearbeitet werden.
Inspiration für Deutschland?
Was wir für die Umsetzung von Energy Sharing in Deutschland aus Frankreich lernen können, darüber diskutieren derzeit Expert:innen in den Resonanzräumen des Zukunftswerks intensiv. Eines ist sicher: Die Ausgangslagen sind sehr unterschiedlich! Mit dem staatlichen Betreiber Enedis, der mit 95 Prozent Anteilen am Verteilnetz eine quasi Monopolstellung innehat, verfügt Frankreich über einen wichtigen Trumpf für die Skalierung von Energy Sharing. Deutschland hingegen steht mit seinen knapp 900 Verteilnetzbetreibern und noch mehr Messstellenbetreibern vor großen Herausforderungen und dem Risiko eines Flickenteppichs. So sieht das auch Mohamed Lahjibi, Projektleiter Energy Sharing bei Enedis, der die Entwicklung einheitlicher Verfahren und Instrumente als Schlüsselelement für eine niedrigschwellige Umsetzung von Energy Sharing in Deutschland sieht.