Lokale Hebel für nachhaltige Ernährungssysteme
Kommunalpolitik als entscheidender Impuls
In Deutschland hat die sächsische Gemeinde Nebelschütz (1 200 Einwohner) 2004 ein lokales Ökokonto-System eingeführt. Durch die Finanzierung von ökologischen Ausgleichsmaßnahmen, die von der Gemeinde umgesetzt werden, können Unternehmen ihre Umweltauswirkungen kompensieren. Diese Einnahmen ermöglichten Nebelschütz unter anderem, über 100 Hektar Wald, Wiesen und Agrarland aufzukaufen, die zum Teil an Bio-Landwirt:innen verpachtet oder als Gemeinschaftsgärten und Streuobstwiesen rehabilitiert wurden.
In Frankreich ist Mouans-Sartoux (9 200 Einwohner:innen) im südfranzösischen Département Alpes-Maritimes eine Vorreiterstadt im Bereich der gesunden und nachhaltigen Ernährung sowie der Erhaltung lokaler Landwirtschaft – und das obwohl die Region sowohl Bodenspekulation als auch starkem Siedlungsdruck ausgesetzt ist. Die Stadt hat mehrere Hektar Agrarland erworben und produziert ca. 85 % des in Schulkantinen verwendeten Gemüses in Eigenregie. Maßnahmen zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung ermöglichten eine kostenneutrale Umstellung auf 100 % biologische Kantinen. Darüber hinaus wurde 2016 das Haus der Bildung für nachhaltige Ernährung (Maison d'éducation à l'alimentation durable, MEAD) gegründet, welches anhand verschiedener Projekte die Ernährungsgewohnheiten der Einwohner:innen dauerhaft zu verändern sucht und den Zugang zu gesunden Lebensmitteln für alle verbesser möchte.
Auf der Grundlage der Erfahrungen dieser und weiterer Kommunen hat sich das Zukunftswerk mit deutschen und französischen Expert:innen aus Zivilgesellschaft und Verwaltungen zur Rolle von Städten und Gemeinden bei der Entwicklung solcher nachhaltigen und resilienten Ernährungssysteme auseinandergesetzt. Zwar verfügen Kommunen über zahlreiche Hebel, wie z. B. Nutzungspläne zur Eindämmung der Flächeninanspruchnahme, das Vorkaufsrecht und die Mobilisierung lokaler Akteur:innen, jedoch sind adäquatere rechtliche und politische Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene notwendig, um das Potential dieser Instrumente besser ausschöpfen zu können. In diesem Sinne empfiehlt das Zukunftswerk mehrere konkrete Aktionsvorschläge, die sowohl für Deutschland also auch Frankreich anwendbar sind.
Lokales Handeln fördern auf nationaler Ebene…
Gelingen kann die Re-Regionalisierung von Ernährungssystemen nur gemeinsam mit Verbraucher:innen und allen lokalen Akteur:innen aus Landwirtschaft, Behörden, Lebensmittelverarbeitung, Einzelhandel, Gemeinschaftsverpflegung usw.
Dabei können Kommunen durch die Regierungen unterstützt werden, indem diese die Entwicklung und Umsetzung standortangepasster Strategien für nachhaltige Ernährung finanzieren und begleiten und diese Unterstützung an Klima- und Artenschutzbedingungen knüpfen. Konkret könnten die nationalen Regierungen unter anderem Stellen für Beauftragte für nachhaltige Ernährung in den Kommunen finanziell fördern.
Weiter könnte die Schaffung von Vernetzungsplattformen für den Dialog zwischen Käufer:innen, lokalen Produzent:innen und weiteren Akteur:innen der regionalen Lebensmittel-Produktionskette gefördert werden.
Die lokalen Erfahrungen zeigen außerdem, welchen Katalysatoreffekt Flächennutzungshoheit und eine aktive kommunale Bodenpolitik haben können, wenn diese von engagierten Bürgermeister:innen bzw. Kommunalverwaltungen im Sinne nachhaltiger und lokaler Ernährungssysteme eingesetzt werden: Das Zukunftswerk hat dafür einschlägige Vorschläge formuliert.
… und auf europäischer Ebene
Eine konkrete Maßnahme zur Förderung lokaler Ernährungssysteme wäre eine Reform des europäischen Vergaberechts, insbesondere der Richtlinie 2014/24/EU. Diese Richtlinie verbietet derzeit jegliche lokale Priorisierung innerhalb der öffentlichen Lebensmittelbeschaffung, obwohl diese einen wichtigen kommunalen Wirkungshebel darstellen, insbesondere um lokalen Landwirt:innen stabile Absatzmärkte zu bieten. Ein entschlossenes Vorgehen zunächst auf deutsch-französischer Ebene und anschließend unter Einbeziehung anderer europäischer Partner wäre wirkungsvoll, um nachhaltige Veränderungen in der Praxis herbeizuführen.
Landwirtschaft ist auf EU-Ebene stark reglementiert. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt daher den Regierungen beider Länder, sich für eine schrittweise Neuausrichtung der Flächenprämien innerhalb der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik einzusetzen, damit die von Landwirt:innen erbrachten Umwelt- und Gemeinwohlleistungen besser vergütet werden.
Durch die Zusammenarbeit mit den Gemeinderäten und Verwaltungen in Nebelschütz und Mouans-Sartoux und den Austausch mit Expert:innen im Rahmen der Ausarbeitung dieser Handlungsempfehlungen, hat das Zukunftswerk festgestellt, dass bereits zahlreiche nationale Maßnahmen zur Unterstützung nachhaltigerer Ernährungssysteme eingeleitet wurden. Bildung und Sensibilisierung für nachhaltige Ernährung sind wichtige Anhaltspunkte, die bereits berücksichtigt werden. Um diesen Wandel, der sowohl für die Minderung unserer THG-Emissionen als auch für den Erhalt der Biodiversität entscheidend ist, auf lokaler Ebene deutlich zu verstärken und zu beschleunigen, bedarf es jedoch einer zeitnahen Umsetzung aller geplanten Maßnahmen.