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„Als der Windpark endlich fertig war, gab’s ne Party!“

État / Zustand
Hoort und Neu-Zachun | Iris Feldmann im Gespräch
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Eine Frau mit schwarzem Pulli und kurzen dunklen Haaren steht vor einer Pinnwand mit bunten Post-its.
Légende
Iris Feldmann während des Auftakttreffens im Oktober 2023 in Berlin. | Foto: Rolf Schulten
Accroche / Aufhänger
Iris Feldmann ist die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Hoort und Neu-Zachun. Die kleine Gemeinde in Westmecklenburg ist seit 2021 stolze Besitzerin eigener Windkraftanlagen. Im Austausch mit Thomas Spinrath spricht die Bürgermeisterin über den langen Weg dorthin und ihr lokalpolitisches Engagement.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
29.04.2024
Contenu / Inhalt
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Interview auf Deutsch geführt von Thomas Spinrath
Übersetzung ins Französische von Marie Millot-Courtois

 

Ortsbesuch in Mecklenburg in der Gemeinde Hoort und Neu-Zachun. In den zwei langgezogenen Ortsteilen leben rund 600 Menschen, backsteinfarbene Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Ringsherum stehen Kiefernwälder und Felder, durch die im Süden der Gemeinde die Autobahn 24 verläuft, die Berlin und Hamburg verbindet. Seit 2021 ist die Autobahn von 16 Windkraftanlagen umsäumt. Vier der Windräder gehören der Gemeinde und den Bürger:innen selbst – bislang eine Besonderheit in Mecklenburg.

Im Ortskern von Hoort befindet sich der Hoorter Krug. Die frühere Gaststätte ist heute das Gemeindezentrum. Hinter dem holzvertäfelten Tresen steht Iris Feldmann, die im Ort liebevoll nur ‚Chefin‘ gerufen wird. Denn die Sonderpädagogin ist seit 2007 die ehrenamtliche Bürgermeisterin und maßgeblich dafür verantwortlich, dass die vormals klamme Gemeinde vom Windpark vor ihrer Haustür finanziell stark profitiert. Wie ist Iris Feldmann das gelungen?

Iris Feldmann, war es immer schon Ihr Traum Bürgermeisterin zu werden?

Nein, das war nie geplant! Lange Zeit war mein Traum eine Gaststätte zu führen. Nun stehe ich ja tatsächlich regelmäßig hier hinter dem Tresen unseres Gemeindezentrums [lacht]. Ursprünglich komme ich aus Schwerin. Anfang der Neunziger haben wir als Familie ein Grundstück gesucht und sind in Hoort fündig geworden. Ich wusste vorher gar nicht, wo Hoort liegt, obwohl man vom Ortseingang den Schweriner Fernsehturm noch sehen kann. Viele der Frauen hier im Ort waren nach der Wende arbeitslos geworden, die Grundstimmung war eher deprimiert. Deswegen haben wir einen Frauentreff gegründet mit 20 Mädels zwischen 25 und 73 Jahren. Das war aber kein Landfrauentreff! Wir wollten uns gegenseitig auffangen und Traditionen wiederaufleben lassen, die zu DDR-Zeiten verloren gegangen waren. Unsere Älteste hat uns zum Beispiel gezeigt, wie man Maikränze bindet.

Jetzt krönt ein Maikranz noch keine Bürgermeisterin...

Die Geschichte geht weiter! Anfang 2000 war in der Gemeindevertretung hauptsächlich die Feuerwehr vertreten – alles Männer. Und aus einer Sektlaune heraus haben wir uns gesagt: Das könnten wir mal aufmischen! Wir haben dann die Wählergemeinschaft Frauentreff gegründet und tatsächlich so viel Zuspruch bekommen, dass wir fünf von neun Sitzen in der Gemeindevertretung bekommen haben. 2007 trat dann der damalige Bürgermeister zurück, und viele Leute aus dem Dorf sind zu mir gekommen und haben gefragt, ob ich das Amt nicht übernehmen möchte. Ich habe erst gezögert und mich dann dazu überreden lassen, es zu probieren und bin gewählt worden. Seitdem bin ich Bürgermeisterin geblieben. Dieses Jahr sind ja wieder Kommunalwahlen am 9. Juni und ich habe gesagt: Einmal mache ich es noch!

Témoignage / Text
„Wir als Frauentreff wollten die Gemeindevertretung aufmischen.“
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Ein Großteil Ihrer Amtszeit war geprägt durch die Entstehung des Windparks vor Ihrer Haustür. Sie sind eine der ersten Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, die selbst Gesellschafterin geworden ist. Wie kam es dazu?

Es kursierten 2012 Pläne der Planungsbehörden, die Fläche rund um die Autobahn als Windeignungsgebiet auszuweisen. Es ist eine sogenannte Weißfläche, in der zum Beispiel kein Landschaftsschutzgebiet liegt. Als die Pläne publik wurden, standen hier plötzlich 13 Windenergiefirmen auf der Matte und wollten einen Windpark bauen. Einige davon waren sehr penetrant und haben direkt bei mir zu Hause geklingelt. Wir haben einen Teil der Firmen dann in der Gemeindevertretung ihre Projekte vorstellen lassen. Nur ein Unternehmen, die Loscon GmbH, hat damals von Bürgerbeteiligung gesprochen und dass dadurch die Akzeptanz gesteigert werden kann. Sie haben daher unser Herz erobert und wir haben das Projekt gemeinsam realisiert.

Wie wurde die Beteiligung konkret umgesetzt?

Das war ein langwieriger Prozess. Das Gebiet an der Autobahn wurde – anders als wir vermutet hatten – doch nicht zum Windeignungsgebiet erklärt. Wir mussten daher in ein Zielabweichungsverfahren, was einige Jahre gedauert hat. Hierfür haben wir zusammen mit der Loscon und im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern ein Konzept für den Windpark erstellt, welches sehr viel lokale Wertschöpfung ermöglicht. Konkret heißt das zum Beispiel: Die Pacht wird über einen sogenannten Flächenpool vergeben, dadurch können alle Grundstückseigentümer in diesem Gebiet profitieren, nicht nur die, auf deren Grundstücken ein Windrad steht. Außerdem haben wir eine Realteilung des Windparks vereinbart. Ein Viertel der Anlagen, also vier Stück, ging in den Besitz einer Gesellschaft, die uns als Gemeinde gehört und bei der unsere Bürger:innen sich mit Anteilen von 100 Euro beteiligen konnten.

Témoignage / Text
„Unser Haushalt ist für die nächsten 20 Jahre gesichert.“
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Das geht stark über die Vorgaben des Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern hinaus, welches 2016 beschlossen wurde. Wie profitieren denn die Menschen bei Ihnen im Ort konkret von den Einnahmen, gerade auch die, die selbst keine Anteile haben?

Wir hatten das Glück, dass wir als Gemeinde genug Land haben, sodass wir diese vier Windmühlen auf unserem Land errichten konnten und noch Flächen verpachten, auf denen weitere Windmühlen stehen. Durch Pacht und die Erlöse aus der Stromerzeugung bekommen wir seit der Inbetriebnahme 2021 im Jahr gute sechsstellige Einnahmen. Das ist für so eine kleine Gemeinde schon eine enorme Summe. Unser Haushalt ist damit für die nächsten 20 Jahre gesichert. Wir können ein neues Gebäude für die Kita bauen, die gerade noch in einem stark sanierungsbedürftigen Gebäude von 1978 ist. Und auch für die Feuerwehr gibt es ein neues Zuhause, weil das neue Feuerwehrauto nicht in die beiden alten Gebäude passen wird. Außerdem traf Loscon die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen hier vor Ort. Die Beeinträchtigungen, die Natur und Landschaft durch den Bau der Windräder erfahren haben, wurden beispielsweise dadurch ausgeglichen, dass zwei asbestbelastete ehemalige LPG-Ställe [Anm. d. Red.: Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft zu DDR-Zeiten] abgerissen und an deren Stelle eine Streuobstwiese gepflanzt wurde.

Vom Planungsbeginn bis zur Inbetriebnahme hat es fast zehn Jahre gedauert! Woher haben Sie die Ausdauer genommen in dieser Zeit?

Also wenn ich etwas anfange, dann möchte ich das auch zu Ende bringen. Als die Baumaschinen endlich angerollt sind, war ich aber trotzdem auch erleichtert. Wir haben ein Baustellenfest gefeiert als Dankeschön für die Bauarbeiter. Und als der Windpark fertig war, gab es für den ganzen Ort eine große Einweihungsparty in einem großen Zelt direkt im Windpark. Das ist wichtig für das Miteinander! Nur durch das gute Miteinander konnten wir auch mit den Bedenken im Ort umgehen, dass die Baustelle Schäden an den Häusern verursachen könnte. Hierfür haben wir Lösungen gesucht. Für die Schwertransporte wurde zum Beispiel eine eigene Ausfahrt von der Autobahn gebaut, damit sie nicht durch den Ort fahren mussten. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn wir den Projektbeteiligten nicht hätten vertrauen und uns auf unsere Absprachen verlassen können. 

 

Vielen Dank für das Gespräch!

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Zur Person

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Iris Feldmann arbeitet als Sonderpädagogin in Schwerin und ist seit 2007 die ehrenamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Hoort und Neu-Zachun. Seit 2000 ist sie Mitglied der Gemeindevertretung.