Der grenzüberschreitende Weg zur klimaneutralen Wärmeversorgung: Calorie Kehl-Strasbourg
Von Sabine Schimetscheck von Calorie Kehl-Strasbourg
Die Badischen Stahlwerke, produzieren seit mehr als 55 Jahren im Kehler Rheinhafen aus Stahlschrott neuen Stahl – hauptsächlich für die Bauindustrie: Ein Kreislauf, der sich unbegrenzt wiederholen lässt und ein Transformationsprozess, bei dem enorme Mengen von Energie frei werden. Diese erneuerbare Energie als Wärme nutzbar zu machen, ist der zentrale Gedanke des Projekts.
Bei der Stahlproduktion entsteht die Abwärme während des Schmelzvorgangs in den beiden Lichtbogenöfen der Badischen Stahlwerke, wobei fester Metallschrott bei Temperaturen von bis zu 1650°C eingeschmolzen wird. Bei diesem Herstellungsverfahren ist die Umgebungswärme der Öfen beträchtlich. Um dem industriellen Produktionsprozess gerecht zu werden, muss diese Abwärme aus den Öfen abgeführt und durch Wasserkreisläufe abgekühlt werden. Danach werden die abgekühlten Rauchgase abgeleitet. Die Idee des Projektes der Calorie Kehl-Strasbourg besteht darin, die aus den beiden Kühlkreisläufen abgeführte Wärme abzuleiten und sie über eine noch zu bauende Wärmeschiene, mit dem Wärmenetz von Straßburg zu verbinden. Bei einer durchschnittlichen Leistung von 20 MW, sollen zunächst 70 GWh jährlich ausgekoppelt werden, was den jährlichen Heizbedarf von etwa 7 000 Haushalten deckt.
In einem ersten Schritt werden umfangreiche Bauarbeiten im Stahlwerk notwendig, um die Energie überhaupt auskoppeln zu können. Gleichzeit muss ein Leitungsnetz errichtet werden, über das die Wärme den potenziellen Kunden zugeführt werden kann.
Auf deutscher Seite, im nahegelegenen Industriegebiet des Hafens und auch in der drei Kilometer entfernten Stadt Kehl, gibt es keine geeigneten Abnehmer für derart große Wärmemengen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Rheins liegt Straßburg – eine Stadt, die bereits große Fernwärmeanlagen betreibt, diese noch weiter ausbauen möchte und sich somit gut als Abnehmerin eignet. Um die Infrastrukturen zu verbinden, wird eine Rheinquerung notwendig: eine technische Herausforderung an sich, verstärkt durch Unterschiede im Bereich der Normen oder juristischen Auflagen der jeweiligen Länder, die das Projekt formal in ein deutsches und ein französisches Vorhaben trennen könnten. Eine Trennung, die weder das Projekt noch der Klimawandel kennen.
Im Hinblick auf ihre klimapolitischen Ziele wollen Kehl und Strasbourg ihre Fernwärmenetze vollständig auf erneuerbare Energien umstellen: ein identisches Ziel, auf beiden Seiten des Rheins, das nun als gemeinsames Ziel auch gemeinsam verfolgt wird.
Unter diesem Gesichtspunkt wurde die Calorie Kehl-Strasbourg für dieses einzigartige grenzüberschreitende Projekt von deutschen und französischen Partnern ins Leben gerufen. Als rechtlicher Rahmen wurde das Modell einer grenzüberschreitenden gemischt- wirtschaftlichen Gesellschaft (Société d’Économie Mixte transfrontalière) gewählt. Diese Gesellschaftsform, welche einen Mindestanteil privaten Kapitals erfordert, ermöglicht es den Gebietskörperschaften beidseits des Rheines, Anteile an der Gesellschaft zu halten und somit das Projekt gemeinsam zu tragen. Außer der Eurometropole Strasbourg und der Stadt Kehl sind das Land Baden-Württemberg und die Région Grand Est am Unternehmen beteiligt. Die französische öffentliche Banque des Territoires et Consignation fungiert als private Teilhaberin, und auch die Badischen Stahlwerke halten symbolisch eine Aktie.
Finanzielle Unterstützung bekommt die Gesellschaft Calorie Kehl-Strasbourg über das Interreg-Förderprogramm der Europäischen Union, welche die Gesellschaft mit zwei Millionen Euro bezuschusst. Auch für das Projekt sind Fördermittel in Aussicht gestellt: die französische ADEME und das deutsche BMWK/BAFA möchten sich über ihre Förderprogramme zur Energiewende einbringen.
Auf erste Machbarkeits- und Vorstudien, insbesondere bezüglich der Trassenführung, folgt aktuell ein europaweites Ausschreibungsverfahren, dessen Ziel es ist, im Mai dieses Jahres ein Ingenieurteam mit der Planung des grenzüberschreitenden Projekts zu beauftragen. 2025 sollte dann der endgültige Trassenverlauf feststehen und mit dem Bau begonnen werden können, so dass das Wärmenetz Ende 2027 in Betrieb genommen werden kann. Ein ambitionierter Zeitplan, dessen Einhaltung nur durch großes Engagement und gute interkulturelle Zusammenarbeit aller Beteiligten möglich sein wird.
Die Calorie Kehl-Strasbourg weckt schon heute Interesse weit über den Ballungsraum Strasbourg-Kehl hinaus und etabliert sich als beispielhaftes Modell für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Innovation im Bereich der Energiewende. Als Geschäftsführerin der Calorie bringt Sabine Schimetschek nicht nur ihre Erfahrung in den Bereichen Bauingenieurwesen und Projektmanagement mit, sondern verkörpert durch ihre langjährigen Lebens- und Arbeitserfahrungen in Deutschland und Frankreich den Geist des Vorhabens. Sie versteht es, die kulturellen Unterschiede der Partner für das gemeinsame Ziel zu nutzen.
Basierend auf dem Willen und der Notwendigkeit, sich von fossilen Brennstoffen abzuwenden und auf eine energetische Souveränität abzuzielen, werden von Calorie Kehl-Strasbourg in einer ersten Stufe etwa 7 000 Haushalte versorgt und somit etwa 19 600 Tonnen CO₂ eingespart.
In Zeiten globaler Unsicherheiten und zunehmender ökologischer Herausforderungen erscheint europäische Solidarität im Bereich der Energie und des Klimaschutzes wichtig und dringlich.
Am Beispiel der grenzüberschreitenden Abwärmenutzung zeigt die Calorie, dass die Idee einer integrierten europäischen Energiepolitik, die auf Kooperation, Innovation und Nachhaltigkeit basiert, möglich ist. „Mit der Calorie Kehl-Strasbourg verfügen wir in naher Zukunft über die europaweit größte grenzüberschreitende Infrastruktur im Bereich der Energieversorgung“, sagt Jeanne Barseghian, Oberbürgermeisterin der Stadt Straßburg und Verwaltungsratsvorsitzende der Calorie. „Diese einzigartige Partnerschaft mit unseren deutschen Nachbarn und Freunden ist ein Beispiel für die Gestaltung der europäischen Klimapolitik.“