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Die Zukunft der Mobilität: Nachhaltige, wünschenswerte und für alle zugängliche Lösungen? Die Realität von morgen!

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Vue sur les berges de la Seine : certaines personnes sont allongées sous des parasols, d'autres se promènent dans une rue sans voitures à côté.
Légende
Fußgängerzone am Ufer der Seine | Foto: Jean-Louis Zimmermann from Moulins, France (CC-BY-2.0)
Accroche / Aufhänger
„Die Stadt muss sich dem Auto anpassen“, so der ehemalige französische Präsident Georges Pompidou. Die Pariser Stadtautobahn aus der Pompidou-Ära lädt heute als Fußgängerzone Spaziergänger:innen zum Verweilen ein. Paris ist beispielhaft für die Bestrebungen um die Mobilitätswende in deutschen und französischen Städten. Das Zukunftswerk gibt einen Einblick, wie Kommunen den Platz des Autos neu definieren, und welche Lösungen das jeweils andere Land inspirieren können.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
16.01.2024
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Von Sarah Bronsard
Aus dem Französischen übersetzt von Annette Kulzer

 

Georges Pompidou im Jahr 1971: „Die Stadt muss sich dem Auto anpassen.“

Das Auto galt in der Vergangenheit als Symbol für den industriellen Erfolg Frankreichs während der florierenden Wirtschaftsjahre der „Trente Glorieuses“, des dreißigjährigen „glorreichen“ Nachkriegsbooms ab 1945. Und mehr noch: Die Demokratisierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) mit Verbrennungsmotor stellte nicht nur „ein Zeichen des sozialen Aufstiegs" dar, sondern vor allem „ein Zeichen der Befreiung des Individuums“, so Georges Pompidou in seiner Rede auf der Automesse Salon de l’automobile im Jahre 1966.

Die Stadtentwicklung und öffentliche Raumplanung wurden daher den wachsenden Bedürfnissen des Automobils angepasst. Ein Beispiel dafür ist die Schnellstraße entlang der Seine, die es den Autofahrenden ermöglichen sollte, die Hauptstadt zu durchqueren, ohne von Verkehrszeichen aufgehalten zu werden. Ursprünglich hatte Pompidou sogar vor, Paris mit einem Autobahnnetz auszustatten, was jedoch aufgrund der nachfolgenden Ölkrisen nicht realisiert werden konnte.

Seit den 1960er-Jahren hat sich das Image des Automobils zwischenzeitlich stark verändert. Um ihren Klimaschutzverpflichtungen nachzukommen und Luftverschmutzung entgegenzuwirken, haben Städte ein klares Ziel vor Augen: den Platz des Autos im städtischen und vorstädtischen Raum zu reduzieren und die Straßen für nachhaltige und flächeneffizientere Mobilitätsformen umzuwidmen. Infolgedessen wurde in Paris die „Stadtautobahn" von Pompidou zur Fußgängerzone umgestaltet. Auch in vielen anderen französischen Großstädten werden immer mehr Umwelt- und Tempo-30-Zonen eingeführt. Auch in Deutschland, wo die Automobilindustrie immer noch eine große Rolle spielt, werden zunehmend Maßnahmen zur Förderung der sanften Mobilität ergriffen.

Das Gleichgewicht zwischen Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsinteressen fördern

Der Handlungsspielraum, in dem deutsche und französische Gebietskörperschaften agieren können, um den Autoverkehr in den Städten zu verringern, ist jedoch durch die bestehenden rechtlichen und ordnungspolitischen Regelungen begrenzt. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk regt in seinen Handlungsempfehlungen, die auf lokalen Erfahrungen basieren, die Anpassungen der vorherrschenden Gesetzgebungen an.

Dabei geht es nicht darum, das Auto komplett aus den Städten zu verbannen, denn manche Menschen werden weiterhin darauf angewiesen bleiben. Vielmehr geht es darum, die Bedeutung des Autos zu verringern und gleichzeitig sicherzustellen, dass die verschiedenen Mobilitätsformen koexistieren und sich ergänzen können. Gemäß den Grundsätzen einer nachhaltigen Transformation soll zudem ein Gleichgewicht zwischen Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsinteressen gefunden werden. Die Umverteilung des Straßenraums zugunsten einer nachhaltigen Stadtentwicklung setzt voraus, dass dieses notwendige Gleichgewicht nicht aus den Augen verloren wird – auch auf die Gefahr hin, dass die Maßnahmen Proteste wie die „Gelbwesten"- oder die „Bonnets rouges"-Bewegung auslösen (Anm. d. Red.: die vor allem durch bretonische Landwirt:innen geprägte Protestbewegung der ‚Roten Mützen‘ demonstrierte 2013 erfolgreich gegen die Einführung der geplanten LKW-Ökosteuer Écotaxe in der Region).

Öffentliche Verkehrsmittel zu einer echten, effizienten und nachhaltigen Alternative ausbauen

Die Zurückdrängung des Autos aus dem öffentlichen Raum muss mit dem Ausbau nachhaltiger Mobilitätsangebote einhergehen. Doch die Frage, wie sich dieser Ausbau des ÖPNVs finanzieren lässt, wird zu einer entscheidenden Herausforderung in beiden Ländern. Glücklicherweise können sie sich gegenseitig von den Ideen und Praxisbeispielen ihres jeweiligen Nachbarlandes inspirieren lassen.

Im Mai 2023 hat die deutsche Regierung das Deutschlandticket eingeführt, eine Fahrkarte, mit der man für 49 Euro im Monat den öffentlichen Nahverkehr im gesamten Bundesgebiet nutzen kann – mit Ausnahme von Schnellzügen. Dieses System hat mehrere Vorteile: ein einziges Abonnement für die Nutzer:innen, eine Verlagerung vom Auto auf die Bahn, mehr aktive Entscheidungen für die Nutzung der Bahn statt des Autos und eine Erhöhung der Kaufkraft in einer Zeit, in der die Energiepreise rasant in die Höhe schnellen. Frankreich sollte sich von dieser Tarifintegration und von eigenen erfolgreichen regionalen Erfahrungen inspirieren lassen: so beispielsweise von der KorriGo-Fahrkarte in der Bretagne, die in 12 Verkehrsnetzen verwendet werden kann und so die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in der Region erleichtert. Nichtsdestotrotz muss auch auf ein ausgeglichenes Budget geachtet werden: Derzeit ist die Finanzierung des Deutschlandtickets für das Jahr 2024 unsicher. Ohne zusätzliche Bundeszuschüsse könnte der Preis auf 59 Euro pro Monat steigen.

Die Mobilitätsabgabe für Unternehmen: Ein mächtiges Finanzierungsinstrument à la française, das das Deutschlandticket retten könnte?

Um die Finanzierung ihres Mobilitätsangebots zu stabilisieren und gleichzeitig die Qualität der angebotenen Dienstleistungen zu verbessern, könnte sich die deutsche Regierung ein Beispiel an der französischen Mobilitätsabgabe Versement mobilité nehmen. Diese Abgabe, die von Unternehmen ab elf Beschäftigten erhoben wird, ermöglicht die Finanzierung des ÖPNV in Frankreich zu 45 Prozent. Auf der Grundlage dieses Wirtschaftsmodells konnte auch die Eurometropole Straßburg ihr solidarisches Tarifsystem entwickeln, das für alle Nutzer:innen gerecht ausfällt.

Pkw und Lkw als Garanten für eine nachhaltige Transformation?

Gemäß dem in der europäischen Gesetzgebung verankerten Verursacherprinzips des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV aus dem Jahr 2007 [Artikel 191 (2)] muss jede:r, der:die negative externe Effekte – in diesem Fall eine erhöhte Umweltverschmutzung – verursacht, die Kosten dafür tragen. Im Bereich der Mobilität geht es darum, die Verursachenden dieser Umweltverschmutzung, also Pkw- und Lkw-Fahrer:innen, zur Kasse zu bitten. Mit den Einnahmen könnten nachhaltigere Verkehrsträger finanziert werden. So würden die Lkw heute die Infrastruktur für den Schienen- und Seeverkehr von morgen finanzieren oder die Einnahmen aus Parkgebühren in die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs fließen.

Anpassung des Straßenverkehrsrechts in Frankreich und Deutschland

Die Entwicklung von Grünflächen, der Bau von Wohnungen oder eine neue Straßenbahntrasse – für die Kommunen ist es nicht immer einfach, all diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Durch die Verankerung von Nachhaltigkeitszielen in der Straßenverkehrsordnung könnte die deutsche Regierung den Gebietskörperschaften mehr Spielraum geben, um das Mobilitätsangebot an die lokalen Bedürfnisse anzupassen.

Laut einer Studie von Santé Publique France, der staatlichen französischen Organisation zur öffentlichen Gesundheitspflege, sind jährlich rund 40.000 Todesfälle auf die Belastung durch Feinstaub und Stickstoffdioxid zurückzuführen. Das Zukunftswerk empfiehlt daher eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in städtischen Gebieten – eine Maßnahme, die es in einigen französischen Städten bereits theoretisch gibt, die aber in der Praxis nicht ausreichend umgesetzt wird. Jedoch sollten die Kommunen weiterhin die Möglichkeit haben, auf bestimmten Straßen Tempo 50 beizubehalten. Denn die Devise muss lauten, eine Überlastung der Verkehrswege mit Staueffekt unbedingt zu vermeiden.

Darüber hinaus sollte sich das Mobilitätsangebot mehr an den Bedürfnissen der Arbeitsmarktregionen als an administrativen Rahmenbedingungen orientieren. Den Regionen eine Mobilitätsabgabe in Aussicht zu stellen, könnte für mehr Kohärenz in der Verkehrsplanung sorgen.

Auf der Tagesordnung der europäischen Städte steht heute also die Umkehrung der von Georges Pompidou geforderten Entwicklung: Das Auto muss an die Bedürfnisse der nachhaltigen Stadt angepasst werden und nicht umgekehrt.