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Wer soll den öffentlichen Nahverkehr finanzieren?

État / Zustand
Nachhaltige Mobilität
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ÖPNV und Tram-Haltestelle in Pau, Frankreich
Légende
In Frankreich wird fast die Hälfte der Kosten des öffentlichen Verkehrs durch die Mobilitätsabgabe finanziert. Ähnliche Formen der Finanzierung durch Drittnutzer werden derzeit in Baden-Württemberg getestet. | Foto: Guilhem Massip
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In Frankreich sind Arbeitergeber:innen maßgeblich an der Finanzierung des ÖPNV beteiligt. Ist Ähnliches denkbar für Deutschland? Baden-Württemberg erprobt seit einiger Zeit verschiedene Modelle der Drittnutzerfinanzierung. In unserer Diskussionsreihe En Débat blickten wir auf die Frage, welche Modelle für Deutschland denkbar sind.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
25.11.2024
Contenu / Inhalt
Texte / Text

Von Emilie Sani und Robin Denz
Übersetzung ins Französische

 

Der Ausbau und die Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) ist die einzige nachhaltige Alternative zur oft unumgänglichen Nutzung des privaten Pkw. Für die Finanzierung des ÖPNV müssen jedoch noch neue Wege gefunden werden. Deutschlandweit wird vermehrt über die Einführung neuer Finanzierungsinstrumente diskutiert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Frage, wie das Deutschlandticket dauerhaft gesichert werden soll.

Am 26. September 2024 fand im Rahmen Veranstaltungsreihe En Débat des Zukunftswerks ein Austausch zum Thema Drittnutzerfinanzierung des ÖPNV statt. Das Prinzip: Sogenannte „Dritte“, die indirekt von einem gut ausgebauten ÖPNV profitieren (zum Beispiel Unternehmen), werden als Nutznießer für dessen Finanzierung zur Kasse gebeten. Entsprechende Instrumente stellen neben den Fahrgeldeinnahmen und den öffentlichen Zuschüssen eine dritte Säule der ÖPNV-Finanzierung dar.

Drittnutzerfinanzierung und Learnings aus Frankreich

Anhand des französischen Beispiels der Arbeitgeberabgabe (versement mobilité) und des Mobilitätspasses in Baden-Württemberg wurden die Möglichkeit und die verschiedenen Facetten einer solchen Drittnutzerfinanzierung diskutiert. In Anwesenheit von Herrn Michael Öhmann, Referatsleiter im Verkehrsministerium von Baden-Württemberg, haben wir uns zur Frage ausgetauscht, ob eine Mobilitätsabgabe nach französischem Vorbild eine nachhaltige Lösung zur Finanzierung des ÖPNV in Deutschland sein könnte.

In Frankreich beruht die Finanzierung des ÖPNV im Allgemeinen auf drei Säulen: den Fahrgeldeinnahmen, den öffentlichen Zuschüssen und der Mobilitätsabgabe. Letztere ist eine Steuer, die von ortsansässigen privaten und öffentlichen Arbeitgeber:innen mit mindestens elf Angestellten und auf Grundlage ihrer Lohnsumme erhoben wird. Der Steuersatz kann dabei je nach Größe der Kommune zwischen 0,55 und 3,20 Prozent liegen. Mit dieser zweckgebundenen Mobilitätsabgabe wird ein wesentlicher Teil des ÖPNV finanziert: Im Jahr 2021 machte der Versement mobilité mit 10,7 Milliarden Euro fast die Hälfte des Budgets der lokalen Mobilitätsbehörden (frz. autorités organisatrices de mobilité, kurz: AOM) aus.

Die Finanzierung des ÖPNV in Deutschland erfolgt sowohl aus öffentlichen Zuschüssen als auch aus Fahrgeldeinnahmen. Diese Mittel reichen jedoch vorne und hinten nicht, um in den nächsten Jahren sowohl die notwendigen Betriebs- und Investitionskosten zu decken. Die Zukunft des ÖPNV in Deutschland durch eine Mobilitätsabgabe für Arbeitgeber:innen oder andere Instrumente der Drittnutzerfinanzierung zu sichern – so lautet eine der konkreten Empfehlungen des Deutsch-Französischen Zukunftswerks.

Baden-Württemberg, Vorreiter in Deutschland

Seit mehreren Jahren arbeitet das Baden-Württembergische Verkehrsministerium mit Modelkommunen an einem Mobilitätspass als mögliches Instrument der Drittnutzerfinanzierung. Vier unterschiedliche Beitragsvarianten wurden diskutiert: die Abgabe für Einwohner:innen, für Arbeitgeber:innen, für Kfz-Nutzende (auch Straßennutzungsgebühr bzw. City-Maut) und für Kfz-Halter:innen. Wer für den Mobilitätspass eine Abgabe leisten muss, bekommt als Gegenleistung ein Mobilitätsguthaben in gleicher Höhe. Der Mobilitätspass entfaltet zwei wesentliche Wirkungen:

  • Lenkungswirkung: Wenn das Guthaben eingelöst wird, steigert es die Fahrgastzahlen im ÖPNV und fördert den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf den umweltfreundlichen ÖPNV.
  • Finanzierungswirkung: Wenn das Guthaben nicht eingelöst wird, bleibt es als zusätzliche zweckgebundene Einnahmequelle für die Kommune zur Finanzierung des ÖPNV erhalten.

Die Ausarbeitung wurde mit 21 Modellregionen und -kommunen durchgeführt, die den Mobilitätspass freiwillig eingeführt haben. Die Modellberechnung zeigte, dass bereits bei einer exemplarischen monatlichen Abgabe von zehn Euro je Abgabenpflichtigen beim Einwohner:innen-, Kfz-Halter:innen- sowie Arbeitgeber:innenbeitrag und einem Monatspass von 25 Euro für die Straßennutzungsgebühr erhebliche Einnahmen erzielt werden können. Dabei zeigte sich auch, dass je nach Typ der Kommune unterschiedliche Modelle besonders geeignet sind. Für Großstädte bieten die Straßennutzungsgebühr sowie der Arbeitgeber:innenbeitrag das größte Potenzial, da sie eine hohe Finanzierungs- und Lenkungswirkung haben, in ländlicheren Gebieten und kleineren Kommunen hingegen der Einwohner:innenbeitrag.

Landesmobilitätsgesetz: Wer zahlen muss bleibt unklar

Mit dem Landesmobilitätsgesetz wird in Baden-Württemberg derzeit ein neuer gesetzlicher Rahmen für die Kommunen geschaffen. Kurz vor der Sommerpause hat der Ministerrat den Gesetzesentwurf zur öffentlichen Anhörung freigegeben. Nach langen Verhandlungen innerhalb der Landesregierung ist darin auch der Mobilitätspass enthalten, allerdings in einer abgespeckten Variante: die Straßennutzungsgebühr und der Arbeitgeber:innenbeitrag wurden aus dem Entwurf gestrichen. Was am Ende tatsächlich im Gesetz stehen wird, wird in den kommenden Wochen weiterverhandelt.

Dennoch: Das Landesmobilitätsgesetz schafft für die Kommunen die Ermächtigungsgrundlage, Instrumente der Drittnutzerfinanzierung einzuführen und umzusetzen. Das ist bundesweit einmalig. In Nordrhein-Westfalen hatten CDU und Die Grünen in ihrem Koalitionsvertrag (2022-2027) vereinbart, den Kommunen eine Drittnutzerfinanzierung zu ermöglichen. Ein Gutachten des Verkehrsverbundes Rhein Sieg (VRS) enthält entsprechende Vorschläge, die nun von den Regierungsparteien geprüft werden sollen. Bezeichnend für die Debatte in Deutschland: Auch hier findet eine Abgabe für Arbeitgeber:innen keine Erwähnung.

Während unserer Debatte wurden auch weitere Praxisbeispiele für eine gelungene Drittnutzerfinanzierung skizziert: zum Beispiel die Parkraumbewirtschaftung in Wien oder unterschiedliche City-Maut-Modelle in London, Stockholm oder Mailand.

Aktuell auf Bundesebene

Erwähnung fand auch die auf Bundesebene in Erwägung gezogene Einführung eines pauschalbesteuerten Mobilitätsbudgets, das zur Verbesserung der privaten Mobilität von Arbeitnehmer:innen beitragen soll.

Am 5. Juni beschloss das Bundeskabinett den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2024 und brachte ihn in den Bundestag ein. Demnach sollten Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden ein Mobilitätsbudget von bis zu 2 400 Euro jährlich als Zusatzleistung zum Gehalt gewähren können, um die Nutzung von geteilten Mobilitätsangeboten zu fördern. Dieser Betrag wäre pauschal mit 25 % versteuert worden, was eine bürokratiearme Umsetzung ermöglichen sollte. Viele Unternehmen und Organisationen sehen im Mobilitätsbudget eine Chance, die Mobilität ihrer Mitarbeitenden nachhaltiger zu gestalten. Dennoch fand der Vorschlag im parlamentarischen Verfahren keine Mehrheit und wurde am 16. Oktober im Finanzausschuss gestrichen.