Ungenutzte Potenziale im Wohnungsbestand heben
Es sind daher sozialverträgliche politische Maßnahmen nötig, die eine effizientere Nutzung des Wohnungsbestands fördern, um Wohnungsmangel und Klimawandel wirksam zu begegnen. In Frankreich und Deutschland gibt es bereits einige kommunale Ansätze: Wohnungstauschbörsen, Zuschüsse für den Erwerb von Altbauten oder Beratungen zur Umstrukturierung von Wohnraum. Diese ambitionierten, aber noch vereinzelten Initiativen brauchen eine effektivere Unterstützung der nationalen Ebene, um in die Breite wirken zu können.
„Die steigende Wohnfläche pro Person ist ein blinder Fleck in der Debatte zum Erreichen der Klimaziele im Gebäudebereich.“
(Wuppertal Institut 2023. Zukunftsimpuls Suffizienz)
In Kürze
- Die Klimaschutzziele für den Wohnsektor können nur erreicht werden, wenn neben der Sanierung flächeneffizientes und bedarfsgerechtes Wohnen gefördert wird.
- Vereinzelt nutzen Kommunen Förder- und Beratungsinstrumente, um Wohnraum im Bestand zu mobilisieren sowie Umbau und Umzug zu unterstützen. Bund und Länder sollten Kommunen fachlich besser begleiten und stärkere Anreize setzen, zum Beispiel über die Städtebauförderung.
- Wohraumpolitik in Deutschland sollte grundlegend neu und suffizient gedacht werden. Die Eigentumsförderung sollte auf den Erwerb und Umbau des Bestands ausgerichtet werden.
Lokale Inspirationen
Eine zentrale Maßnahme des Kommunalen Handlungskonzepts zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum ist die Wohnraumagentur. Sie identifiziert Stadtgebiete mit viel ungenutztem Wohnraum und berät Göttinger:innen zum Umzug in kleinere Wohnungen, zum bedarfsgerechten Umbau ihres Hauses oder zu gemeinschaftlichem Wohnen. Der Aufbau der Agentur wurde begleitet durch das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderte Projekt OptiWohn.
Die kleine elsässische Gemeinde führte 2015 eine Steuer auf leerstehenden Wohnraum ein. Kombiniert wurde diese Maßnahme mit der technischen und finanziellen Unterstützung zur energetischen Sanierung der leerstehenden Wohnflächen. Hierdurch ist es der Gemeinde gelungen, innerhalb von fünf Jahren Wohnraum in der Größenordnung einer Neubausiedlung zu reaktivieren.
Die Gemeinde bezuschusst seit 2007 Immobiliengutachten sowie den Kauf und die Sanierung von Wohnhäusern, die mindestens 25 Jahre alt sind. Die Förderung wird entsprechend der Anzahl der Kinder im Haushalt gestaffelt. Das Programm ermöglichte den Zuzug junger Menschen ohne den Neubau auf der grünen Wiese anzukurbeln. Von der lokalen Praxis inspiriert hat die Bundesregierung im September 2024 ein bundesweites Jung kauft Alt-Programm eingeführt.
Unsere Aktionsvorschläge
Die Förderung flächeneffizienten und bedarfsgerechten Wohnens sollte in Kommunalverwaltungen als Querschnittsthema etabliert werden. Die Analyse von Wohnraumpotenzialen im Bestand sollte fester Bestandteil der Stadt- und Quartiersentwicklung und der Wohnungspolitik werden. Bund und Länder sollten dafür Wohnraumeffizienz in der Städtebauförderung voranbringen und als Pflichtbestandteil von integrierten städtebaulischen Entwicklungskonzepten (ISEK) einfordern. Gleiches gilt für die Förderung quartiersbezogener Ansätze und Strategien.
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Gleichzeitig sollte der Bund das Capacity-Building und die Verbreitung von Good Practices unterstützen, damit Kommunen die effiziente Nutzung des Gebäudebestands in ihre Fachplanungen und Beratungsangebote integrieren können. Hierfür bietet sich eine entsprechende thematische Schwerpunktsetzung in den Beratungsangeboten der Agentur für kommunalen Klimaschutz an sowie eine eigene Kategorie im Wettbewerb Klimaaktive Kommune nach französischem Vorbild des von der Umweltagentur ADEME ausgelobten Preises für Flächen- und Gebäudesuffizienz.
Um die Städte und Gemeinden in Frankreich zu unterstützen, sollte ein nationales Capacity-Building-Programm aufgebaut werden, welches Kommunen bei der Analyse von Suffizienzpotenzialen und der Maßnahmenplanung berät und begleitet.
Finanzielle Anreize und Förderungen des Staates im Bereich Wohneigentum sollten in beiden Ländern die Aktivierung und den bedarfsgerechten Umbau von Wohnraum im Bestand priorisieren. Der Bund hat sich in den letzten Jahren verstärkt in die Wohneigentumsförderung eingebracht. Mit neuen Programmen wie Jung kauft Alt ist ein erster Schritt in Richtung Aktivierung von Leerständen und deren energetischer Ertüchtigung getan. Der Großteil der Förderung fließt jedoch weiterhin in den Erwerb von Neubauten. Neubau auf der grünen Wiese – auch wenn er energieeffizient ist – versiegelt wertvolle Freiflächen und verbraucht graue Energie. Bund und Länder sollten ihre Wohneigentumsförderung neu strukturieren und konsequent auf Flächen- und Energiesuffizienz ausrichten. Zudem sollten Programme für den Umbau von Wohnraum die bisherige Beschränkung auf einen barrierefreien Umbau aufheben und gleichberechtigt Haushalte unterstützen, die ihr zu groß gewordenes Haus in mehrere Wohneinheiten unterteilen möchten.
Der französischen Regierung empfiehlt das Zukunftswerk, den Spielraum für Kommunen bei der Besteuerung von Leerständen und Zweitwohnungen weiter auszuweiten.
Die Energie- und Sanierungsberatung für und von Kommunen sollte in beiden Ländern systematisch die Suffizienzperspektive integrieren. Denn es gilt: Energetische Sanierungen können nur wirken, wenn sie nicht durch höhere Verbräuche (Rebound-Effekt) zunichte gemacht werden. Sie sollten mit bedarfsgerechter Wohnfläche und ressourcenschonendem Nutzungsverhalten einhergehen. Dabei gilt es, Gelegenheitsfenster zu nutzen: Eine energetische Sanierung ist eine gute Gelegenheit, um über eine Anpassung des Wohnraums an veränderte Bedürfnisse nachzudenken, zum Beispiel durch die Untervermietung eines Zimmers oder eine Teilung des Wohnraums.
Deswegen sollten Potenziale zur suffizienten Umnutzung oder zum Umbau in die Anforderungen für geförderte Sanierungsfahrpläne aufgenommen werden. Hierzu müssen in der Aus- und Weiterbildung für Energieberater:innen die Kenntnisse zu Suffizienzpotenzialen gestärkt werden. Zudem sollte die effiziente Wohnraumnutzung in den Beratungsauftrag für die bis 2026 kommenden zentralen Anlaufstellen für energetische Sanierung integriert werden.
Weitere Inspirationen
Ziel des Wettbewerbs ist es, kommunale Projekte zu fördern, die eine intensivere Nutzung des Gebäudebestands und bestehender Stadträume begünstigen. Zwar wächst die Zahl der Initiativen mit dieser Zielsetzung, in Form und Umfang sind sie jedoch sehr heterogen. ADEME möchte Good Practices sichtbar machen und verbreiten, um andere Akteure zu inspirieren.
Mit verschiedenen Standorten in ganz Frankreich und dank kommunaler Finanzmittel bietet das Start-up Villes Vivantes Eigentümer:innen, die ihre Wohnung verändern wollen, kostenlose Unterstützung durch Architekt:innen an. Ihr Service ist vielseitig: Mal soll ein leerstehendes Haus vor dem Verkauf umgebaut oder ein Anbau ergänzt werden, um das nächste Kind unterzubringen. Mal muss ein zusätzlicher Eingang her, um einen Teil einer mittlerweile viel zu großen Wohnung untervermieten zu können. Indem Villes Vivantes das nötige Know-how zur Verfügung stellt, hilft das Unternehmen, neuen Wohnraum zu schaffen, ohne neu bauen zu müssen. Es verfolgt das Ziel, den Gebäudebestand entsprechend der aktuellen Wohnbedürfnisse der darin lebenden Menschen umzugestalten.