Sozial- und klimagerecht Sanieren
Gemeinsam mit regionalen Akteuren kommt den Kommunen infolge der neuen EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) die Aufgabe zu, bis Mitte 2026 zentrale Anlaufstellen* zur Begleitung von Eigentümer:innen zu schaffen. Dies soll eine entscheidende Hürde abbauen: Viele Eigentümer:innen scheitern bei der Sanierung neben dem Mangel an Finanzierung an der Komplexität des Prozesses. Beim Ausbau der zentralen Anlaufstellen sollte die Zielsetzung darin bestehen, mehr Haushalte mit geringem Einkommen für die energetische Ertüchtigung ihrer Immobilien zu mobilisieren. Parallel dazu braucht es den Ausbau von Förderprogrammen in Bund und Ländern. Diese sollen insbesondere Eigentümer:innen mit geringem Einkommen unterstützen und soziale Schutzmechanismen für die Mieter:innen schaffen. Es ist wichtig, dass die drei föderalen Ebenen ihre jeweiligen Programme und Anforderungen aufeinander abstimmen, um die Aktivitäten insgesamt in ihrer Wirkung zu stärken.
„Haushalte in Deutschland geben durchschnittlich sechs Prozent Ihres Einkommens für Heizkosten aus, bei einkommensschwachen Haushalten in schlecht wärmegedämmten Gebäuden kann der Anteil auf bis zu 30 Prozent steigen.“ (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2024)
*Zentrale Anlaufstelle hier analog zur EPBD benutzt als Übersetzung von One-Stop-Shop im Englischen und Guichet unique im Französischen.
In Kürze
- Zentrale Anlaufstellen in den Regionen können umfassende Unterstützung bieten und Finanzierungslösungen bereitstellen. Ihr Angebot sollte für alle zugänglich sein.
- Eine soziale Staffelung der Fördermittel, wie in Frankreich praktiziert, trägt dazu bei, den Gebäudebestand sozialgerecht zu dekarbonisieren.
- Eine sozial ausgerichtete Finanzierung und fachliche Begleitung in der Gebäudesanierung trägt wesentlich dazu bei, die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen und sorgt für eine gerechte Verteilung der Sanierungslasten.
Die Anlaufstellen des französischen SERAFIN-Netzwerkes, wie etwa Rénov Occitanie oder Hauts-de-France Pass Rénovation, sind (halb-)öffentliche, von Kommunen oder Regionen getragene Institutionen. Sie bieten eine umfassende Unterstützung für Eigentümer:innen an. Ziel ist es, die Komplexität des Sanierungsprozesses sowie die Hürden für die Finanzierung zu reduzieren.
Als zentrale Anlaufstellen begleiten sie Eigentümer:innen sowohl administrativ als auch operativ. Durch ihre unabhängige Beratung und Vermittlung schaffen sie Vertrauen zwischen Privatpersonen, Banken und Fachleuten.
Für die Institutionen im SERAFIN-Netzwerk gilt aufgrund einer Sonderregelung des französischen Haushaltsgesetzes des Jahres 2024 eine Ausnahme vom Bankenmonopol. Als sociétés de tiers-financement („Drittfinanzierungsgesellschaften“) sind sie gesetzlich dazu berechtigt, eigenständig Kredite zu vergeben und staatliche Fördermittel vorzufinanzieren. Bei der Kreditvergabe berücksichtigen sie auch die erwarteten Energie- und Kosteneinsparungen der von ihnen betreuten Projekte.
Mehr Hintergründe gibt es in unserem Factsheet zu One-Stop-Shops.
In Frankreich bietet ein Netzwerk von über 450 Anlaufstellen (die Espaces Conseils France Rénov‘) eine Erstberatung zur energetischen Sanierung für Privatpersonen an und informiert diese insbesondere über das nationale Förderprogramm MaPrimeRénov‘. Die Mittel aus dem Programm werden – im Gegensatz zu der Mehrheit vergleichbarer Programme in Deutschland – einkommensabhängig gewährt.
In Deutschland gibt es ebenfalls lokale Beratungsstellen. Diese sind jedoch regional sehr unterschiedlich verteilt; eine flächendeckende Abdeckung für jeweils 80 000 Einwohner:innen, wie es die neue EPBD vorschreibt, ist in kaum einer Region gewährleistet.
Unsere Aktionsvorschläge
Für ein möglichst flächendeckendes Sanierungsgeschehen sollte die französische Regierung Sanierungen für alle Zielgruppen zugänglich machen. Zu diesem Zweck braucht es verlässliche, sichtbare und auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnittene Förder-, Beratungs- und Finanzierungsangebote. Dazu sollten die lokalen Kräfte gebündelt und die Zusammenarbeit kommunaler und weiterer öffentlicher sowie privater Akteure vor Ort proaktiv unterstützt werden.
Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt daher, die bestehenden Programme der französischen Regierung zur energetischen Sanierung dauerhaft zu stabilisieren, um Verlässlichkeit für alle Akteure der Sanierung zu schaffen. Darüber hinaus sollte die französische Regierung den Ausbau von Drittfinanzierungsgesellschaften in kommunaler und/oder regionaler Trägerschaft fördern, um finanzielle Hürden zu beseitigen und eine umfassende Betreuung anzubieten. Um künftig auch den Einsatz privater Mittel im Bereich der Sanierungsbegleitung zu erhöhen, sollte die französische Regierung schließlich Impulse für eine Erprobung privatwirtschaftlicher Beratungs- und Finanzierungsangebote geben.
Die EPBD-Novelle von 2024 fordert flächendeckend zentrale Anlaufstellen, welche umfassend, unabhängig und mit einem Schwerpunkt auf Haushalte mit geringem Einkommen zur energetischen Sanierung beraten. Das Zukunftswerk empfiehlt, dass Kommunen bei der Gestaltung der Angebote dieser Anlaufstellen eingebunden werden, unabhängig davon, ob diese in öffentlicher oder privater Trägerschaft umgesetzt werden. Die zuständigen Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) sollten bestehende Strukturen und Programme gezielt für eine sozialverträgliche Ausrichtung nutzen und folgende Maßnahmen umsetzen:
- Finanzielle Mittel bereitstellen, um Anlaufstellen mit Fokus auf die Förderung geringverdienender Haushalte zu errichten und zu betreiben;
- Eine niedrigschwellige Online-Beratung aufbauen, die sich am Instrument LOUTRE der Energieagentur in Marseille orientiert (Details s. unten, Rubrik Weitere Inspirationen);
- Den Zugang zu Förderprogrammen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhöhen: Nach dem Serafin-Modell (s. lokale Inspiration: SERAFIN – Netzwerk mit dem Modell der Drittfinanzierungsgesellschaften) sollten Sanierungskredite als Vorfinanzierung von Zuschüssen für Eigentümer:innen bereit gestellt werden. Es wäre darüber hinaus zu prüfen, wie die zentralen Anlaufstellen diese Vorauszahlungen in Kooperation mit Banken direkt an die Eigentümer:innen vermitteln könnten.
- Anlaufstellen mit dem Mandat ausstatten, Partnerschaften mit den lokalen Banken aufzubauen, um Bankmitarbeitende zu schulen, siehe Energieagentur ALEC Marseille (Details s. Beispiel ALEC Marseille, Rubrik Weitere Inspirationen);
- Die Möglichkeit zur umfassenden Beratung und fortdauernden Begleitung durch lokale Anlaufstellen im nationalen Energie- und Klimaplan verankern.
Durch die gängige Form der Ko-Finanzierung erreichen Fördermittel in der Regel nur diejenigen, die ihrerseits über eine eigene finanzielle Grundausstattung verfügen. Finanzschwachen Kommunen oder Haushalten und Eigentümer:innen mit geringen Einkommen dagegen bleiben Förderangebote oftmals verwehrt. Damit sie ihre Immobilien sanieren, ist es notwendig, die Fördermittel nach sozialen Kriterien auszurichten. Mit einem gezielten Fokus auf energetisch ineffiziente Gebäude sind Energieeinsparpotenziale besonders hoch und öffentliche Mittel damit effizienter eingesetzt. Das BMWK und BMWSB sollten die Fördermittel wie die Bundesförderung energieeffiziente Gebäude (BEG) so anpassen, dass Förderbanken ihre Kredit- und Mittelvergabe nach sozialen Bedürfnissen ausrichten können. Dies beinhaltet
- eine Staffelung nach Einkommensgruppen in alle relevanten Förderprogramme aufnehmen und Förderungen erhöhen, ähnlich dem französischen Modell MaPrimeRénov‘, mit höheren Fördersätzen für geringere Einkommen (mehr Details zum Programm s. unten, Rubrik Weitere Inspirationen);
- Erhöhung der Zuschüsse und Zinsvergünstigungen für Komplettsanierungen und Einzelmaßnahmen der Gebäude mit den schlechtesten Energieeffizienzklassen für Haushalte mit geringem Einkommen;
- Bereitstellung von Budgets, welche Kommunen eigenständig vergeben können, um eine gerechte und effiziente Verteilung bei Sanierungsaufgaben zu gewährleisten.
Lesen Sie auch die Handlungsempfehlung „Lokale Strategien für die energetische Sanierung stärken“.
Weitere Inspirationen
In Marseille hat die lokale Energieagentur das Tool LOUTRE entwickelt, eine digitale Plattform, welche die Beratung für Privatpersonen in großem Maßstab möglich macht. Diese Plattform ermöglicht es Nutzer:innen, für ihr Anliegen passende Berater:innen, Handwerksunternehmen und Dienstleister zu kontaktieren. Sie können den Verlauf ihres Sanierungsprojekts von Anfang bis Ende nachverfolgen. Die in einem Verzeichnis hinterlegten Unternehmen können LOUTRE für die Auftragsakquise nutzen. Zusätzlicher Vorteil: Es werden Informationen zur Gebäudesubstanz sowie Bau- und Sanierungslösungen gesammelt. LOUTRE wird im Rahmen eines europäischen LIFE-Projekts in größerem Umfang erprobt.
Die Energieagentur der Metropolregion Marseille arbeitet in Partnerschaft mit Banken der Region, um Sanierungsprojekte zu finanzieren. Bankmitarbeitende werden geschult und durch die Begleitung der ALEC ist eine gewisse Qualität der Arbeiten garantiert. Bankmitarbeitende sind so besser in der Lage, die Anträge zu bewerten und werden ermutigt, Kredite zu gewähren. Im Gegenzug werden Privatpersonen, die Kredite beantragen, automatisch an die ALEC verwiesen, um deren Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Von der Erstberatung über die Planung bis hin zur Umsetzung und Qualitätssicherung begleitet die Raumfabrik alle Projektphasen. Kund:innen haben einen einzigen Ansprechpartner für Fachkräftevermittlung, Kostenvoranschläge, Baupläne, Baustellenkoordination und Abnahme. Einzige Ausnahme ist die Finanzierung, die durch die Raumfabrik nicht sichergestellt wird. Bei der Raumfabrik handelt es sich um ein privates Unternehmen. Öffentliche Anlaufstellen dieser Art sind in Deutschland noch nicht bekannt. Die Raumfabrik Wuppertal befindet sich momentan in Auflösung und besteht nur noch bis 2025.
Das französische Förderprogramm MaPrimeRénov' staffelt die Fördermittel nach Einkommensklassen. Für eine umfassende Sanierung, bei der sich die Energieklasse des Gebäudes um drei Stufen verbessert, erhalten wohlhabende Haushalte bis zu 35 Prozent Förderung. Haushalte mit geringem Einkommen erhalten dagegen bis zu 80 Prozent Förderung. Zuschüsse für kleinere Einzelmaßnahmen sind Haushalten mit geringem Einkommen vorbehalten.