Suffizienz als zentrale Säule der Energiewende etablieren
Während der Energiekrise in den Jahren 2022 und 2023 wuchs in beiden Ländern das Bewusstsein dafür, dass die wertvolle und teure Ressource Energie intelligent genutzt werden muss. Kurzfristige Maßnahmen, wie bspw. eine frühere Nachtabschaltung der kommunalen Straßenbeleuchtung oder sparsameres Beheizen von Gebäuden, bewiesen ihre Wirksamkeit. Nun braucht es politische Maßnahmen, die auf Dauer ressourcenschonende Lebensweisen fördern. Einige Kommunen haben dazu erste Ansätze und Strategien entwickelt. Energiesuffizienz muss auch auf nationaler Ebene als Voraussetzung einer ambitionierten und gerechten Energiewende vorangetrieben werden. Nur so können lokale Strategien ihre Wirkung entfalten. Dies sollte begleitet werden von Kommunikation und Bildungsangeboten, die ein positives Narrativ der Suffizienz schaffen, welches den zusätzlichen Nutzen, zum Beispiel in Bezug auf Gesundheit und sozialen Zusammenhalt, hervorhebt.
Die Hälfte der Energieeinsparungen bis 2050 könnte in Ländern wie Deutschland und Frankreich durch Suffizienz gelingen – das sagt das Szenario CLEVER eines Netzwerks aus 26 europäischen Forschungseinrichtungen.
In Kürze
- Die nationalen Strategien der Energiewende fokussieren sich auf technische Innovationen und Energieeffizienz. Im Vergleich dazu werden die langfristigen Potenziale des „Hebels Suffizienz“ kaum gesehen und genutzt.
- Einige Kommunen setzen bereits Maßnahmen um, die langfristig unterstützende Bedingungen für energiesparende Verhaltens- und Lebensweisen schaffen. Diese Initiativen bleiben bisher die Ausnahme.
- Um kommunales Handeln gezielt zu stärken, sollten Suffizienzziele in nationalen Strategien verankert werden. Zudem sollten die Regierungen dafür sorgen, dass Kommunen eine bessere Begleitung bei der Integration von Suffizienzmaßnahmen in ihre Planungsdokumente erhalten.
Der Begriff Sobriété hat in Frankreich – anders als sein Pendant Suffizienz hierzulande – seit den 2010er-Jahren einen starken medialen Durchbruch erlebt und findet zunehmend Eingang in die Politik. Im Jahr 2022 rückte mit der Energiekrise infolge des Krieges in der Ukraine die Sobriété in den Mittelpunkt der politischen und medialen Aufmerksamkeit.
Trotz eines wichtigen semantischen Unterschieds beider Begriffe ist die Situation in Frankreich und Deutschland in Wirklichkeit ähnlicher, als es den Anschein hat: In beiden Ländern wird das Potenzial der Suffizienz für die Energiewende noch wenig genutzt. So lag der Anteil der auf Suffizienz ausgerichteten Maßnahmen unter allen in den Nationalen Energie- und Klimaplänen (NEPC) eingereichten Vorhaben für 2019 und 2020 bei neun respektive sieben Prozent in Frankreich und Deutschland (Quelle: Lage, et al., 2023, S. 5).
Unsere Aktionsvorschläge
Frankreich hat – im Gegensatz zu Deutschland – Suffizienz bereits als Säule der Energiewende strategisch verankert. Die Bundesregierung sollte nachziehen, indem sie Suffizienz als zentrale Querschnittsaufgabe der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) formuliert. Die 2023 bis 2024 erarbeitete Neufassung der Strategie sollte Suffizienz als gleichwertigen sechsten Hebel neben bspw. ‚Finanzen‘ und ‚Forschung, Innovation und Digitalisierung‘ aufnehmen. Für jedes Handlungsfeld sollte die Strategie Suffizienzziele formulieren und mittels neuer DNS-Indikatoren, wie zum Beispiel der Pro-Kopf-Wohnfläche, operationalisieren. Analoges gilt für die Nachhaltigkeitsstrategien der Bundesländer.
Diese Ziele sollte die Bundesregierung auch in ihr Klimaschutzprogramm integrieren und einen Rechtsrahmen schaffen, der für Kommunen Anreize für langfristige Energieeinsparungen durch Organisations- und Verhaltensänderungen schafft und diese einfordert. So sollten das Energieeffizienzgesetz (EnEfG) und das Gebäudeenergiegesetz (GEG) des Bundes entsprechend ergänzt werden.
Die französische Regierung sollte die Rolle der Suffizienz in zentralen Planungsdokumenten der Energiewende konkretisieren, wie zum Beispiel der mehrjährigen Energieplanung (Programmation pluriannuelle de l’énergie) und der Nationalen Dekarbonisierungsstrategie (Stratégie Nationale Bas Carbone).
Nationale Förderpolitik muss Anreize ausbauen, um Suffizienz in kommunalen Klimaschutzstrategien zu verankern. Förderprogramme sollten über die bisherige Leuchtturmförderung hinaus ausgeweitet und mit Blick auf eine flächendeckende Umsetzung gestärkt werden. In Deutschland fördert der Bund mit der Nationalen Klimaschutzinitiative seit vielen Jahren kommunale Klimaschutzkonzepte. Suffizienzpotenziale sollten hier standardmäßig als Teil der Potenzialanalysen ermittelt und auf Wirtschaftlichkeit untersucht werden.
Der Auftrag der vom Bund geförderten Kompetenzzentren, wie der Agentur für kommunalen Klimaschutz und dem Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende (KWW), sollte um das Themenspektrum der Suffizienz erweitert werden. Diese Zentren können Kommunen fachlich dabei unterstützen, Suffizienzpolitik als Querschnittsaufgabe der Stadt- und Verkehrsplanung, Wohnungs- und Klimapolitik zu etablieren.
In Frankreich sollte die Begleitung von Kommunen durch nationale Agenturen weiter ausgebaut werden. Die Agenturen sollten Kommunen fachlich umfassender dabei unterstützen, Bestandsanalysen zu erstellen und Maßnahmenpläne zu entwickeln. Sie könnten bspw. Indikatoren für das Monitoring bereitstellen und den Erfahrungsaustausch kommunaler Akteure stärken.
Die deutsche und die französische Regierung sollten sich dazu verpflichten, staatliche Regulierungen und Subventionen schrittweise abzubauen, welche vermeidbare energieintensive Praktiken begünstigen und Suffizienz verhindern. Bund, Länder und Kommunen sollten ihre Förderprogramme daraufhin prüfen, ob sie nicht-nachhaltige Maßnahmen unterstützen. Das schafft Glaubwürdigkeit für Suffizienzpolitik, auch auf kommunaler Ebene. Zudem entstehen neue finanzielle Spielräume zur Finanzierung der Energiewende.
In Deutschland listet das Umweltbundesamt für das Jahr 2018 umweltschädliche Subventionen des Bundes in Höhe von mehr als 65 Milliarden Euro auf, was mehr als 18 Prozent des gesamten Bundeshaushalts in dem Jahr entspricht. Die meisten Subventionen beziehen sich auf Vergünstigungen im Verkehr und in der Energiebereitstellung und -nutzung.
Lokale Inspirationen
Die Strategie für klimaschonende Entscheidungen definiert Suffizienz seit 2017 als Querschnittsaufgabe kommunalen Handelns. Als Vertiefungsstudie zum Masterplan 100 % Klimaschutz angelegt, zeigt sie die Rahmenbedingungen für klimafreundlichen Konsum, Mobilität und Wohnen auf. Der Impuls kam vom Bund: Als geförderte Klima-Pilotkommune wurde Münster ermutigt und methodisch begleitet, Suffizienz in den Masterplan zu integrieren.
Dieser Erfolg beruht insbesondere auf einer breiten und nachhaltigen Mobilisierung der Verwaltung. Indem sie energiesparendes Handeln in ihrer eigenen Verwaltung etablierte, übernimmt die Kommune eine Vorbildfunktion. Damit war die Glaubwürdigkeit geschaffen, um in einer Kampagne auch die Stadtgesellschaft und Unternehmen zum Energiesparen zu motivieren.