Verbindlichkeit für eine hochwertige grüne Infrastruktur erhöhen

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Stadtgrün in Lyon
Légende
Foto: Deutsch-Französisches Zukunftswerk | Multitalent Stadtgrün in Lyon. Bis zum Jahr 2030 sollen in der Metropolregion Lyon 300.000 neue Bäume gepflanzt werden – ein zentraler Baustein der Klimaanpassung der Stadt.
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Die Städte zu begrünen ist eine zentrale Aufgabe nachhaltiger Stadtentwicklung. Auch in Zukunft sollen Städte ein lebenswertes Umfeld für Menschen bieten. Damit dies trotz steigender Bevölkerungszahlen auch ohne zusätzlichen Flächenverbrauch gelingt, ist das Stadtgrün ein unverzichtbarer Baustein.
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Denn städtische Grünflächen sind nicht nur zentral für den Natur- und Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel in Kommunen, sie sind auch Teil der Gesundheitsvorsorge und dienen als sozialer Treffpunkt und Ort für Freizeit und Erholung.

Die vielfältigen Ökosystemleistungen der grünen Infrastruktur als Beiträge zur Biodiversität, zur wassersensiblen und hitzeresilienten Stadt und zur Steigerung der Lebensqualität sind wissenschaftlich belegt (siehe Erfahrungen und Impulse). Daher gilt es, die grüne Infrastruktur auf öffentlichem und privatem Grund im Bestand zu sichern sowie quantitativ und qualitativ weiter zu entwickeln.

Stadtgrün entwickeln: Quantität – Qualität – Erreichbarkeit – Vernetzung

Nicht allein in kompakt bebauten Ortskernen geht es darum die Quantität an Stadtgrün zu erhöhen und den Bestand aufzuwerten. Gezielten Schutz brauchen ebenso die wertvollen Bestände in den aufgelockerten, grüneren Außenbereichen, auf die sich der Nutzungsdruck mangels Alternativen in den Ortskernen zunehmend richtet. Zu den zentralen qualitativen Leitplanken gehören hier die Förderung der Umweltgerechtigkeit – zum Beispiel durch eine verbesserte Erreichbarkeit von Grünflächen im Wohnumfeld in bislang unterversorgten, sozial benachteiligten Quartieren, aber auch die Biodiversität, zum Beispiel durch die Vernetzung zu „grünen Bändern“.

Städte und Gemeinden sind jedoch mit vielfältigen Aufgaben konfrontiert: Sie müssen insbesondere preisgünstigen Wohnraum schaffen und Flächen für Unternehmen bereitstellen, um Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu generieren. Diese Nutzungskonkurrenz führt oft dazu, dass das Stadtgrün vernachlässigt wird und bestehende Grünflächen unentwickelt bleiben oder gar schwinden.

Das Deutsch-Französische Zukunftswerk empfiehlt beiden Ländern, Kommunen durch einen regulatorischen Rahmen zu Erhalt und Ausbau grüner Infrastruktur zu verpflichten und beides im kommunalen Haushalt verbindlich zu sichern.

Durch eine Festlegung von Zielen und die Einführung von verbindlichen Standards für die Grünflächenentwicklung können Politik und Verwaltung bestehende Bebauungs- und Versiegelungsdynamiken auf der lokalen Ebene überwinden. Um die lokalen Bedarfe und Gegebenheiten zu berücksichtigen, muss sich die Grünentwicklungsplanung zudem auf flächendeckende Bestandsaufnahmen und Daten stützen. Die Bereitstellung solcher Daten beschleunigt nicht nur die Umsetzung, sondern schärft auch das Bewusstsein für den von Grünflächen geschaffenen Mehrwert vor Ort.

Schlüsselbegriff: Grüne Infrastruktur

„Grüne Infrastruktur ist das Pendant zur grauen, technischen Infrastruktur. Sie umfasst natürliche Flächen wie intakte Moore oder Seen, naturnahe Flächen wie extensiv genutzte Auen, Wälder und Stadtparks, […] Ziel grüner Infrastruktur ist es, durch ein Netzwerk unversiegelter Flächen die biologische Vielfalt zu bewahren und zugleich den Menschen eine lebenswerte Umwelt zu sichern.“ [Umweltbundesamt (UBA)]

Accordéons
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Ziele für den Schutz und die Entwicklung grüner Infrastruktur festlegen
Description / beschreibung

Verbindliche quantitative und qualitative Grünentwicklungsziele sollten für öffentliche und private Flächen definiert werden. Um den Bestand grüner Infrastruktur zu sichern, zu erweitern und aufzuwerten, sollten die Grünentwicklungsziele verbindlich in die Verantwortung der französischen Intercommunalités (Gemeindeverbände) und der deutschen Kommunen gelegt werden. Durch die Einführung kommunaler Zielindikatoren setzen Frankreich und Deutschland die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur  auf dem Ambitionsniveau des originären Gesetzesentwurfs um. Die Entwicklungsziele sollten in wenigen, aber aussagekräftigen Indikatoren abgebildet werden – wie zum Beispiel dem Anteil unversiegelter, naturbelassener Böden, damit Bäume tief wurzeln können, dem Baumkronenüberdeckungsgrad, der Entfernung zu wohnungsnahem Stadtgrün oder dem Umfang grüner Infrastruktur insgesamt sowie naturfachlich wertvoller Pflanzenbestände.

In Frankreich bilden der Plan Local d’Urbanisme (PLU – Bebauungsplan) und der Plan Local d’urbanisme intercommunal (PLUi – interkommunaler Bebauungsplan) bereits effektive und rechtsverbindliche Instrumente für den privaten Grund, indem sie Quoten für den Grünflächenanteil festlegen und dem Stadtgrün Vorrang gegenüber Parkplätzen und Bebauung einräumen können. Hier sollte der Geltungsbereich auch auf öffentliche Flächen ausgeweitet werden. In Deutschland sind Bund und Länder adressiert, einerseits verbindliche Grünentwicklungsziele in den Landesbauordnungen bzw. der gemeinsamen Musterbauordnung der Länder festzulegen und andererseits einen Grünflächenfaktor in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zu verankern.

Die Stadt Paris führt zum Beispiel ab 2024 eine nach Grundstücksgröße gestaffelte Quote unversiegelter, im Bodenverbund stehender Fläche (pleine terre) ein.

Mehr Hintergründe finden Sie in der Rubrik „Erfahrungen und Impulse“, z.B. was hinter den Orientierungswerten des Masterplans StadtNatur steckt.

Titel
Begrünungspotenziale durch lokale Bestandsanalysen identifizieren
Description / beschreibung

Erfahrungen von Vorreiterstädten zeigen, dass eine kleinteilige Bestandserfassung städtischer Grünflächen auf Basis eines Zielkatalogs erforderlich ist, um vorhandene Begrünungspotenziale zu ermitteln. In  beiden Ländern sollte eine verpflichtende Erstellung städtischer Bestands- und Potenzialanalysen und deren regelmäßige Fortschreibung die Grundlage bilden, um eine integrierte Grünentwicklungsplanung vorzunehmen sowie kleine, schnell umsetzbare „Sofortmaßnahmen“ zu identifizieren. Ein Ziel sollte dabei sein, insbesondere Maßnahmen für Stadtgebiete defizitärer grüner Infrastruktur voranzubringen.

Die Analysen sollten als Grundlage für Erhalt und Planung der grünen Infrastruktur dienen und die Harmonisierung mit bestehenden Entwicklungsprozessen unterstützen: Sie würden helfen, Potenziale besser zu identifizieren und das Fundament für Umsetzungsstrategien in den Kommunen zu bilden. An die örtlichen Gegebenheiten angepasste kommunale Pflanz- und Pflegestrategien sowie Kataloge klimawandel-resistenter Arten sollten die kommunalen Verwaltungen ergänzend mit dem nötigen Wissen für die Umsetzung ausstatten. Bis zum flächendeckenden Aufbau fachlich-technischer Unterstützungsstrukturen (siehe Aktionsvorschlag weiter unten) sollte kleinen Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, alternativ zu einer detaillierten Bestandsanalyse ein vereinfachtes Stadtnatur-Leitbild zu erarbeiten. Metropolen und Großstädte ihre Bestandsanalysen auch stadtteilbezogen erstellen oder vertiefen können.

Die „Urbane Beobachtungsstelle Lyon“ hilft der Stadtverwaltung mit einer feinmaschigen Analyse dabei, mit Blick auf die Stadtnatur unterversorgte Gebiete, aber auch Potenzialstandorte zu identifizieren – von kleinteiligen Mikrozonen bisher versiegelter Flächen bis zur grünen „Nachverdichtung“ bestehender Grünanlagen.

Titel
Finanzielle Ausstattung für die grüne Infrastruktur sichern
Description / beschreibung

Wenn die grüne Infrastruktur als Pflichtaufgabe festgelegt wird, ist sie in der Abwägung kommunaler Prioritäten gleichberechtigt. Für die Planung, Umsetzung und Pflege der grünen Infrastruktur müssen Kommunen und Intercommunalités durch die französische Regierung sowie Bund und Länder in Deutschland eine ausreichende, auf Dauer angelegte finanzielle und personelle Grundausstattung erhalten. Seit April 2023 können französische Kommunen über den „Fonds verts pour le climat“ (deutsch: grüner Klimafonds) Förderanträge für Begrünungsprojekte stellen. Als flächendeckend wirksames Instrument, um der oft finanziell motivierten Bebauungsneigung kommunaler Gremien und Verwaltungen entgegen zu steuern, könnte in Frankreich einen Etat für Investitionen in die Biodiversität in den Plans Etat-Régions (Plan Staat-Region) aufgenommen werden.

In Lyon und München kostet eine Baumpflanzung und an die zunehmende Trockenheit angepasste Pflege heute in den ersten Jahren 300 bis 500 Euro. Es zeigt sich zudem, dass die Anzahl von potentiellen Standorten begrenzt ist. Durch vorbereitende Entsiegelungsarbeiten und das Verlegen unterirdischer Leitungen an anderen Standorten ist ein deutlicher Kostenanstieg zu erwarten. Mehr Informationen im Beitrag „Odyssee für eine Duftesche“ in der Rubrik Erfahrungen und Inspirationen.

Titel
Technisch-organisatorische Hilfen für Kommunen bereitstellen
Description / beschreibung

Damit Kommunen die oben empfohlenen verpflichtenden Bestandsanalysen und Grünentwicklungsplanungen einheitlich und effizient umsetzen können, sollten beide Länder die Kommunen fachlich begleiten und organisatorische Hilfestellung leisten, unter anderem in Form von Leitfäden und einem zentral organisierten Datenpool des geographischen Informationssystems (GIS), in Deutschland als Aufgabe der Länder, in Frankreich über staatliche Einrichtungen auf regionaler Ebene, wie directions régionales de l'Environnement, de l'Aménagement et du Logement – DREAL (deutsch: Regionaldirektion für Umwelt, Planung und Wohnen). Das im Kabinett verabschiedete deutsche Bundesklimaanpassungsgesetz verpflichtet die Länder zukünftig in Vorbereitung kommunaler Klimaanpassungskonzepte dazu, sogenannte Klimarisikoanalysen zu erstellen, welche eine Vielzahl kleinräumiger Daten aufbereiten. Um eine ganzheitliche Datenerhebung zur Grünflächenentwicklung zu ermöglichen, sollten die Länder in der Ausführung des Bundesgesetzes auch nicht (unmittelbar) klimawirksame Daten zur Grünflächenentwicklung ergänzen. Dazu gehören bspw. kleinräumige Daten zur Grünausstattung, wie bspw. die Daten zur wohnortnahen Grünversorgung).

Der Atlas de la biodiversité communale (ABC, deutsch: kommunale Biodiversitätskarten), der Club PLUi (deutsch: Club interkommunalen Bebauungsplan) und das KOM.EMS-Programm (Tool zur Einführung von Energiemanagementsystemen in Kommunen) können als Ausgangspunkt dienen, um Fachinformationen, Weiterbildungsangeboten und nützlichen Werkzeugen und Modellen für die Renaturierung von Städten bereitzustellen. Der Klimaatlas von Nordrhein-Westfalen stellt bereits kleinräumige Versiegelungsdaten für sein Gebiet zur Verfügung.

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Erfahrungen und Impulse

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Bild von Marburg aus Vogelperspektive mit Potentialstandorten
Eine Odyssee für eine Duftesche
Description / Beschreibung

Das Land Hessen schenkte Marburg symbolisch eine Duftesche zur Pflanzung in der Altstadt – einem Bereich, der laut Klimaanpassungsgutachten ein Hitzehotspot ist. Bei der Suche nach einem geeigneten Baumstandort zeigte sich, dass bereits die Pflanzung eines einzigen Baums eine größere Herausforderung darstellt: Auf die Privatflächen hat die Stadt keinen Zugriff, Ausweichflächen für Lieferverkehr und gesetzliche Mindestvorgaben für Feuerwehrzufahrten machten die Umwandlung von Straßenraum unmöglich, unterirdische Versorgungsleitungen stehen in Konkurrenz zu den künftigen Baumwurzeln. All dies verhinderte über einen längeren Zeitraum hinweg eine Pflanzung im Altstadtbereich. Schließlich wurde ein geeigneter Ort für den Baum an einer Bushaltestelle in der Barfüßerstraße identifiziert. Hier wurde der Baum Anfang 2023 gepflanzt.

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Ein Baum
Wie viel ist ein Baum wert?
Description / Beschreibung

Zwei Werkzeuge machen sichtbar, was häufig übersehen wird: den finanziellen Mehrwert des Stadtgrüns:
Wie viel ein Stadtbaum in Euro wert ist, können französische Kommunen mithilfe des Tools Barème de l’arbre errechnen. Ziel ist es, Kommunen und Bürger:innen für die Bedeutung von Stadtbäumen zu sensibilisieren, Schäden zu vermeiden und im Fall eines Baumschadens finanzielle Sanktionen aussprechen zu können. Das Tool wurde auf Initiative der Vereinigung von Baumpfleger:innen und dem Rat für Architektur, Urbanistik und Umwelt von Seine-et-Marne ins Leben gerufen. Das Stadtgrün Bewertungstool des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) verfolgt ein ähnliches Ziel. Basierend auf dem Ökosystemleistungsansatz wird dafür analysiert, welche Leistungen die Natur in der Stadt erbringt, etwa für die Temperaturregulation, die Luftreinhaltung oder die Wasserretention – und was es die Stadt kosten würde, gäbe es diese Natur nicht. Für 23 deutsche Großstädte können so Szenarios erstellt werden, die anzeigen, was eine Steigerung des Stadtgrüns, wie mehr begrünte Wege oder Gründächer, für die Stadt für einen finanziellen Mehrwert bedeuten würden.

Zur Webseite Barème de l’arbre hier

Zur Webseite des Stadtgrün-Bewertungstools hier

 

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Von Bäumen gesäumter Boulevard in Lyon
Wie viel Grün ist genug?
Description / Beschreibung

Im Rahmen des Masterplans Stadtnatur von 2019 schrieb die Bundesregierung unter anderem fest, dass eine Fachkonvention Orientierungswerte für die Grünausstattung und Erholungsversorgung in Kommunen festlegt. Ziel war es auch, die seit über 30 Jahren von Kommunen genutzten Orientierungswerte der Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) auf einen neuen Stand zu bringen. Die neuen Werte sollen bundesweit anwendbar sein und verschiedenen Akteur:innen der Stadt- und Umweltplanung praxistaugliche Richtwerte für ihre Arbeit vorgeben. Die ausgearbeiteten aktualisierten Orientierungswerte wurden im Juni 2023 veröffentlicht – die anschließende Erprobung in ausgewählten Modellkommunen läuft aktuell noch.

Zum Katalog der aktualisierten Orientierungswerten des Bundesamt für Naturschutz (BfN) hier

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Politische Handlungsempfehlung 6 − Verbindlichkeit für eine hochwertige grüne Infrastruktur erhöhen
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