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Europa will die Schwächsten schützen

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Gebäudesanierung
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Zwei verfallene Wohnblöcke aus DDR-Zeiten
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Einkommensschwache Haushalte leben oft in sanierungsbedürftigen Gebäuden und sind damit doppelt von Energiearmut bedroht. | Foto: Spiegelneuronen auf flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Accroche / Aufhänger
Mit der EU-Gebäuderichtlinie sollen die Emissionen des Gebäudesektors durch eine schnellere Sanierung reduziert werden. Um Haushalte vor finanziellen Belastungen zu schützen, bezieht die im Mai 2024 verabschiedete Neufassung erstmals soziale Aspekte mit ein. Anais Picart und Arthur Frantz analysieren, auf welche Herausforderungen deutsche und französische Kommunen bei der Umsetzung stoßen.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
02.09.2024
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Von Anaïs Picart und Arthur Frantz
Aus dem Französischen übersetzt von Annette Kulzer

 

Die überarbeitete Richtlinie

Der Betrieb von Gebäuden verursacht in der EU mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen. Um das Fit For 55-Ziel zu erreichen, müssen die Maßnahmen in diesem Sektor unbedingt verstärkt werden. Deshalb wurde die Gebäuderichtlinie (EPBD) überarbeitet und nimmt neue Zielvorgaben auf: unter anderem Mindeststandards für Gebäude mit der geringsten Energieeffizienz, nationale Zielpfade für die Sanierung des Wohngebäudebestands, die die Mitgliedsstaaten selbst festlegen, und das Einrichten zentraler Anlaufstellen (One-Stop-Shops) für alle an Renovierungsarbeiten beteiligten Akteure.

Auswirkungen auf Mietende und die soziale Gerechtigkeit

Die Beschleunigung der Sanierungswelle ist zwar notwendig, birgt aber die Gefahr, Mieter:innen noch stärker finanziell zu belasten und die Situation einkommensschwacher Haushalte zu verschlechtern. Das rief auch Barbara Steenbergen von der internationalen Mietervereinigung (International Union of Tenants IUT) während der Transformationsküche des Zukunftswerks im Juni in Erinnerung. Die Abwälzung von Sanierungskosten auf die Mietenden sei immerhin in 21 Mitgliedstaaten erlaubt. Auf dem Papier wird dies mit dem Prinzip der Kostenneutralität begründet: Kosten, die durch Mieterhöhungen anfallen, sollen durch niedrigere Energiekosten wieder eingespart werden. Barbara Steenbergen gab jedoch zu bedenken, dass „diese Kostenneutralität in der technischen Umsetzung nur selten erreicht wird“. Nur selten seien Modernisierungsmaßnahmen so effizient, dass die Kosten wirklich ausgeglichen sind. Solche Mieterhöhungen durch Renovierungsmaßnahmen können zu Verdrängungseffekten der Mietenden führen.

Soziale Maßnahmen in die Richtlinie integriert

Um Energiearmut und Verdrängungseffekten durch Sanierungen entgegenzuwirken, verpflichtet die neue Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Einrichtung sozialer Schutzmaßnahmen. Dieser Ansatz ist nun in der Präambel der Richtlinie verankert; die detaillierten Maßnahmen sind in Artikel 17 beschrieben. Gebäude mit geringer Energieeffizienz werden häufig von einkommensschwachen Haushalten bewohnt, die durch hohe Energierechnungen besonders von Energiearmut bedroht sind. Nach den neuen Bestimmungen müssen finanzielle und technische Anreize für die Sanierungen nun gezielt auf schutzbedürftige Haushalte ausgerichtet werden, die unter Energiearmut leiden oder in Sozialwohnungen leben. Dies kann zum Beispiel, wie in Frankreich, durch Subventionen für einkommensschwache Haushalte geschehen. Die Richtlinie stellt zudem klar, dass die Sanierung von Worst Performing Buildings vorrangig ist. Die Mitgliedsstatten müssen außerdem dafür sorgen, dass diese Haushalte nach der Sanierung in Punkto Miete finanziell abgesichert sind – etwa durch Mietobergrenzen oder finanzielle Unterstützungen.

Frankreich als Vorreiter bei der Umsetzung?

Nach der Verabschiedung der Richtlinie haben Frankreich und Deutschland nun zwei Jahre Zeit, um die Bestimmungen umsetzen. Dass Frankreich diese Maßnahmen bei den Verhandlungen befürwortete, während Deutschland sich klar dagegen aussprach, ist darauf zurückzuführen, dass sich die beiden Länder in sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen befinden.

Zunächst einmal hat Frankreich den Vorteil, dass sein Fördersystem auf einkommensschwache Haushalte ausgerichtet und weitaus progressiver ist als das deutsche System. Darüber hinaus dürfen im französischen Sozialwohnungsbau Sanierungskosten schon seit einiger Zeit nicht mehr vollständig auf die Mietenden umgelagert werden (dank der Begrenzung der Mieterhöhung im Gesetz Loi de Mobilisation pour le Logement et la Lutte contre l'exclusion, 2009). In Deutschland ist das nicht der Fall. Im Gegensatz zum französischen Modell erlaubt der deutsche Sozialwohnungsbau mit der Modernisierungsumlage die Weitergabe von Sanierungskosten. Gewinne müssen hier nicht reinvestiert werden, um Mieten auf einem moderaten Niveau zu halten. Diese Ausgangslage kann die Umsetzung von Maßnahmen zur Begrenzung des Mietanstiegs erschweren.

Deutschland, das einen höheren Anteil an Mieter:innen als Frankreich (ca. 55 Prozent vs. 40 Prozent) und ein anderes Modell des sozialen Wohnungsbaus hat, wird wahrscheinlich mit größeren Schwierigkeiten konfrontiert sein. Auch wenn Frankreich sich bereits auf einem guten Weg befindet, werden einige Anpassungen im nationalen Recht notwendig sein.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen und die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland zu erleichtern, wird ein Vorschlag für ein Finanzierungsmodell vor allem von der Umweltorganisation BUND und dem Deutschen Mieterbund unterstützt. Irmela Colaço (BUND) stellte es im Rahmen der Transformationsküche vor: „In Deutschland können derzeit acht bis zehn Prozent der Kosten umgelegt werden können. Wir schlagen vor, dass es nicht mehr als drei Prozent sein sollte, was dem Anteil entspricht, der tatsächlich durch Energieeinsparungen kompensiert werden kann.“ Im Gegenzug müssen Vermietende für die Sanierung erhaltene Fördermittel nicht mehr an die Mietenden weiterreichen. Dieses Drittelmodell, das auf einer Dreiteilung der Finanzierung zwischen Eigentümer:in, Mietenden und öffentlicher Hand beruht, soll somit das Umschichten der Kosten auf die Mieter:innen begrenzen.

Kommunen in der Verantwortung beim Mieter:innenschutz

Die Hürden liegen jedoch nicht primär im sozialen Wohnungsbau, dessen Aufgabe es naturgemäß schon ist, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Schwieriger ist es, in den privaten Markt einzugreifen, wo Interessengegensätze zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen (split incentives) die Norm sind. Die Schutzmaßnahmen, die geschaffen werden müssen, sind in beiden Ländern neu, und die Änderung des Rechtsrahmens wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Auch wenn diese Mechanismen im Wesentlichen auf nationaler Ebene angesiedelt sind, können Kommunen selbstverpflichtend vorangehen, um die Mieter:innen besser zu schützen – über die gesetzlichen Regelungen hinaus. So hat es die französische Stadt Lyon mit ihrem sozialen Wohnbauunternehmen Grand Lyon Habitat getan. Es verpflichtet sich, Mieterhöhungen nach Sanierungen so weit wie möglich zu begrenzen und systematisch soziales Bauprojektmanagement einzurichten, um Mietende in schwierigen Situationen individuell zu begleiten.