„Leerstand kann viel wert sein!“
Interview geführt von Kathrin Faltermeier
Thomas, du bist in Zeitz geboren und aufgewachsen. Nach 10 Jahren in Leipzig hast du dich dann entschlossen, an deinen Geburtsort zurückzukehren. Was hat dich dazu bewogen, die Großstadt hinter dir zu lassen?
Das Schöne ist natürlich: Zeitz liegt vor den Toren Leipzigs. Aber was mich dazu bewogen hat, endgültig nach Zeitz zurückzukehren, war das Projekt Kloster Posa. Als wir das damals alte Klostergelände zum ersten Mal besichtigten, war mir klar: Hier müssen wir etwas machen! Wir haben ein Konzept für die Nutzung erarbeitet und uns damit bei der Stadt beworben. Sobald der Pachtvertrag unterschrieben war, bin ich umgezogen und lebe seit 2013 auf Kloster Posa. Heute werden die zahlreichen Gebäude auf dem Klosterareal teilweise durch unseren Verein bespielt, teils als privater Wohnraum genutzt oder als gewerbliche Werkstätte und Ateliers vermietet. Kloster Posa verbindet damit Leben, Arbeit und Begegnung.
Man könnte Kloster Posa auch als ein „Wiederbelebungsprojekt“ der lokalen Kulturlandschaft in und um Zeitz beschreiben. Was hat sich konkret geändert, seitdem ihr dem alten Klosterareal neues Leben eingehaucht habt?
Zunächst einmal bieten wir seitdem regelmäßig Veranstaltungen wie Lesungen oder Kulturateliers an, organisieren Workshops zur Umweltbildung und haben einen Stand auf dem Zeitzer Weihnachtsmarkt. Wir haben Kloster Posa ein Stück weit geöffnet – für jegliche Formen kultureller Freizeitbetätigung. Und: Wir haben einen belebten Ort geschaffen, der regional und überregional wieder ins Bewusstsein gekommen ist. Damals hatten zwar viele Zeitzer:innen „Kloster Posa“ schon einmal gehört, waren aber noch nie selbst dort. Das wollten wir ändern und haben mit unseren Aktionen den Menschen vermittelt: ‚Wir sind hier, kommt vorbei und lernt uns und den Ort kennen!‘. Wir waren damals 10 junge Leute aus der Großstadt – keine Hippies zwar, aber wir sahen natürlich anders aus als die meisten Zeitzer:innen – das erregte Aufmerksamkeit. Ein Gefühl von: ‚Wow, da passiert was!‘.
Euer Anliegen ist auch, positive Erzählungen über Zeitz zu schaffen.
Damals war allen klar: Zeitz ist eine sterbende Stadt. In Leipzig befindet sich der Sitz des MDR [Anm. d. Red.: Mitteldeutscher Rundfunk]; wurde für einen Beitrag ein Negativbeispiel benötigt – also eine Stadt, in der alles schlecht ist: Leerstand, Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Depression – setzten sich die Kameraleute in ein Auto, fuhren eine halbe Stunde nach Zeitz und fanden dort alles, was sie brauchten. Wenn nun aber die Bürger:innen diese Botschaft in der Zeitung oder in den Lokalnachrichten ihr ganzes Leben lang immer wieder hören und gespiegelt bekommen, glauben sie das irgendwann auch. Und wenn du nie aus Zeitz herauskommst und die kaputten Häuser siehst, denkst du, es sei nur hier schlimm und überall anders, in Leipzig und in anderen Städten, großartig… aber das stimmt ja nicht!
Du beschreibst die leerstehenden und verfallenen Gebäude, die das Zeitzer Stadtbild bis heute prägen, nicht als „Schandflecken“, sondern als „Möglichkeitsräume“.
Während der Leerstand in der Öffentlichkeit als negativ dargestellt wurde, kamen wir mit der Erfahrung aus Leipzig und anderen urbanen Räumen und stellten fest: dieser Leerstand ist viel wert. Denn genau diese Freiräume sind unser Anknüpfungspunkt, um der ganzen Region eine andere Identität zu geben. Um Zeitz langfristig und nachhaltig kulturell neu zu entwickeln, brauchen wir junge Leute – diese gibt es zumaß in Leipzig, wo sie keinen Raum mehr finden. Wieso also sollte man nicht beizeiten versuchen, die Weichen zu stellen, um diese Leute von hier nach dort zu bekommen?
Viele Zeitzer:innen haben einen eher düsteren Blick auf ihre Stadt. Wie kann sich das ändern?
Die Menschen mitzunehmen, war die größte Aufgabe – sie es ist immer noch. Unser Anliegen war, über Kloster Posa eine Art positive Berichterstattung zu erreichen. Vor allem über social media und unsere Netzwerke in Leipzig haben wir es geschafft, ein gewisses Interesse an Zeitz zu wecken. Sicher nicht flächendeckend über alle Gesellschaftsschichten hinweg, aber für ein bestimmtes Publikum: junge, studierte Leute, junge Familien, die auch eine gewisse Offenheit mit sich bringen. Die sich vorstellen können, auch woanders hinzuziehen und sagen: ‚Ach, lass uns doch nach Zeitz fahren und einfach gucken!‘. Das hat allerdings Jahre gebraucht und es gab viele Rückschläge. Doch steigende Mieten und weniger Wohnraum in Städten wie Leipzig haben uns recht gegeben.
Von 2014 bis 2017 hast du im Sachgebiet Kultur und Tourismus der Stadt Zeitz gearbeitet und dich gleichzeitig für Kloster Posa engagiert. Was hast du dank dieses Perspektivwechsels gelernt?
Schon als unsere Gruppe mit dem Projekt Kloster Posa begonnen hatte, war hauptsächlich ich es, der sich um die Termine beim Rathaus kümmerte – und mir wurde schnell klar: Wenn wir mit Kloster Posa etwas bewegen wollen, brauchen wir die Stadtverwaltung an Bord. Meine Tätigkeit im Sachgebiet Kultur und Tourismus der Stadt Zeitz ergab sich unerwarteterweise und war rückblickend eine super Erfahrung, die mir einiges gebracht hat. Ich hatte die Möglichkeit, mein kulturelles Weltbild und mein Faible für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in die städtischen Kulturaktivitäten miteinfließen zu lassen. Anstatt auf den Veranstaltungen nur Bratwürste und Bier zu konsumieren, wollte ich erreichen, dass die Besucher:innen auch zum Nachdenken angeregt werden. Gerade am Anfang war es sehr hilfreich, beide Hüte aufzuhaben: Kloster Posa und Stadt Zeitz. Ich wurde immer eingeladen, konnte Kontakte knüpfen und manches auch mal auf dem kurzen Dienstweg klären.
In unserer Forschung zum Burgenlandkreis haben wir als Zukunftswerk gelernt, dass Naturschutz als wichtig wahrgenommen wird, während viele unserer Gesprächspartner:innen mit dem Thema Klimaschutz fremdelten. Was sagst du als Klimaschutzmanager dazu?
Das Thema ist hier im Burgenlandkreis nicht unbedingt das leichteste. Der Burgenlandkreis ist Bergbaufolgelandschaft, und zudem als Strukturwandelregion ausgewiesen. Viele Menschen identifizieren sich über die Kohle, ihre Arbeit und die Tradition der Kumpels und pochen – legitimerweise – auch auf ihre Rechte. Sagt man denen: ‚Wegen des Klimawandels und weil CO₂-Ausstoß per se nicht toll ist, müssen wir euer Kraftwerk schließen‘, fördert man keine positive Grundeinstellung zum Thema Klimawandel. Dann kommt die Reaktion: ‚Ich habe hier gearbeitet, mein Geld verdient, meine Familie ernährt, Wohlstand in die Region gebracht. Was ich gemacht habe, war gut. Und plötzlich soll das alles nichts mehr wert sein?‘.
Können kulturelle und künstlerische Initiativen dazu beitragen, den Klimawandel stärker ins Bewusstsein zu rücken?
Die Geschichten dieser Menschen sind und bleiben ein wichtiger Teil unserer Region, sie dürfen nicht sterben. Jede Zeitung, jedes Museum, jedes Buch lebt von authentischen Geschichten. Kunst und Kultur sind ein wunderbares Medium, um diese Menschen wertzuschätzen, einzubinden und sie für andere Themen zu interessieren – eigentlich das Medium! Dabei ist Kultur für mich viel mehr als Theater oder Rummel oder ein Bratwurststand. Im Prinzip beschreibt Kultur sehr allumfassend, wie Menschen leben, wie sie arbeiten, sich bewegen, wie sie miteinander umgehen.
Wie sollten deiner Meinung nach Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen im Burgenlandkreis zusammenarbeiten, um die großen Herausforderungen durch den Strukturwandel anzugehen?
Bewegungen wie Fridays for Future haben die Debatte um den Klimawandel in die Öffentlichkeit getragen. Sie haben veranlasst, dass die Medien das Thema aufgreifen und erreicht, dass die Politik aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Das heißt nicht, dass es alle toll finden – aber zumindest haben alle schon einmal davon gehört. Durch das Zukunftswerk habe ich Leuchttürme kennengelernt, die selbst mir noch ein bisschen die Augen geöffnet haben. Ich denke beispielsweise an die Erfahrungen von Loos-en-Gohelle. Wir haben in beiden Fällen lokale Akteur:innen, die sich ihrer Identität beraubt fühlen. Es geht darum, diesen Menschen nicht einfach zu kündigen und sie fallen zu lassen, sondern mit ihnen zu sprechen und sie nach ihren Erfahrung zu fragen.
Du bist Mitglied des Resonanzraums des Deutsch-Französischen Zukunftswerks. Wie hast du den Prozess der ko-kreativen Entwicklung von Handlungsempfehlungen bislang erlebt?
Das spannendste am Resonanzraum finde ich, dass wir uns bei jedem Treffen und in jeder Arbeitssitzung in einem Raum des Austausches bewegen. Wenn so viele verschiedene Menschen mit ihrer Expertise zusammenkommen und ihre Erfahrungen einbringen können, passiert unheimlich viel. Ich bin sehr dankbar, ein Teil davon zu sein.
Was erhoffst du dir vom Resonanzraum und den Handlungsempfehlungen des Deutsch-Französischen Zukunftswerks, die den Regierungen beider Länder überreicht werden?
Was die Handlungsempfehlungen anbelangt, sind meine persönlichen Erwartungen etwas niedriger. Ich bin auf der lokalen Ebene unterwegs – natürlich weiß ich um die Bedeutung der Bundespolitik und bin ein großer Verfechter der EU, aber ich fühle mich an der Basis wohler. Der Resonanzraum und das tolle Netzwerk dahinter erlauben es mir, im kleinen Zeitz zu sitzen, mir Gedanken über meine Region zu machen und mich gelegentlich mit Expert:innen aus Frankreich, Marburg, Berlin oder Österreich auszutauschen – daraus kann ich viel für die Region hier ziehen. Das ist phänomenal!
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Als Mitglied des Resonanzraums vertritt Thomas Haberkorn die lokale Initiative „Kloster Posa“, einen Verein, den er gemeinsam mit neun Mitstreiter:innen 2013 gegründet hat, um das alte Klosterareal in Zeitz als Wohn- und Kulturort wiederzubeleben. Neben seinem Engagement für die Kulturszene von Zeitz ist Thomas Haberkorn seit Januar 2022 auch Klimaschutzmanager der Stadt Teuchern. Dort widmet er sich unter anderem der Erstellung eines kommunalen Klimaschutzkonzepts.