Heiße Quelle nachhaltiger Wärmeversorgung
Von Thomas Spinrath
Übersetzung ins Französische von Marie Millot-Courtois und Marion Davenas
Das Michaelibad im Münchner Osten. Auf einen Teil der Liegewiese, auf der sich im Sommer die Freibadgäste tummeln, rollen Baumaschinen. Hier entsteht die inzwischen siebte Tiefengeothermieanlage der Stadtwerke München. Einmal fertiggestellt, wird sie mit etwa 80 Megawatt installierter Leistung eine der größten Geothermieanlagen Deutschlands sein und rund 75 000 Menschen mit regenerativer Fernwärme versorgen.
Für München ist der Ausbau von tiefer Geothermie, also der Förderung heißen Wassers aus mehreren Tausend Metern Tiefe, der zentrale Baustein zur Dekarbonisierung des Fernwärmenetzes. Die Stadt hat hier einen geologischen Vorteil: München sitzt auf dem süddeutschen Molassebecken, dessen heiße Wasserschichten in rund 3 000 Meter Tiefe geologisch gut verfügbar sind. „Wir haben hier ein Reservoir, wo wir aus dem Vollen schöpfen können“, beschreibt Christoph Schmidt, Mitarbeiter der Stadtwerke München, das Wärmepotenzial.
Großes Potenzial in Deutschland und Frankreich
Die Stadt München ist nicht die einzige Kommune, für die die Tiefengeothermie ein Schlüssel für die erneuerbare Wärmewende darstellt. Etwa die Hälfte der Fläche in Frankreich und Deutschland weist Potenzial für die Förderung von tiefer Geothermie auf, auch wenn die geologischen Standortfaktoren nicht überall so günstig wie in München sind. Nach Berechnungen der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft könnte Deutschland bundesweit ein Viertel des Gesamtwärmebedarfs über Tiefengeothermieanlagen mit einer Leistung von 70 Gigawatt decken. Ein Trend zur Geothermie mit fast 100 geplanten neuen Anlagen ist zwar erkennbar, aber die bisher installierte Wärmeleistung von Tiefengeothermie schöpft jedoch nicht einmal ein Prozent des identifizierten Potenzials aus. Diese Einschätzung beruht auf Zahlen, die der Bundesverband tiefe Geothermie 2023 veröffentlichte. Jenseits des Rheins in Frankreich ist der Ausbau schon ein Stück weiter. Im Jahr 2022 wurde etwa doppelt so viel Wärme aus Tiefengeothermie erzeugt wie in Deutschland. Das macht eine Studie der AFPG (Association française des professionnels de la géothermie) deutlich. Aber auch hier wird bisher nur ein Bruchteil des Potenzials genutzt.
In München decken die bisherigen Anlagen bereits rund 10 Prozent des Wärmebedarfs des Fernwärmenetzes. Theoretisch wäre eine Wärmeabdeckung aus Abwärme, Geothermie und Wärmepumpen in Höhe von circa 80 Prozent möglich. Die zentrale Herausforderung ist jedoch, im dichtbebauten Stadtgebiet ausreichend geeignete Flächen dafür zu finden. Während der Bohrphase für ein Erdwärmeheizwerk wird eine Fläche von rund zwei Hektar, also etwa wie zwei Fußballfelder, benötigt. Eine Herausforderung, vor der auch Großstädte in Frankreich stehen. Fabrice Marguerite, der bei der Stadtverwaltung Lyon im Bereich der Energie- und Wasserwirtschaft arbeitet, formuliert das Problem wie folgt: „Die Geothermie stellt eine echte Chance dar! Gleichzeitig gibt es in einer dicht besiedelten Stadt wie der unseren nur wenig verfügbare Grundstücke. Wenn wir heute in Lyon ein solches Projekt konkretisieren wollen, kann es schwierig werden, einen passenden Standort zu finden.“ Nicht zuletzt aus diesem Grund wird in Lyon trotz geologisch vermuteten Potenzials bisher noch keine Erdwärme gewonnen. Entsprechend groß war das Interesse an den Erfahrungen der Stadtwerke München (SWM). Die SWM, hundertprozentige Tochtergesellschaft der Landeshauptstadt München, diskutierten in einem vom Deutsch-Französischen Zukunftswerk organisierten Online-Dialog die Herausforderungen mit Kommunen aus beiden Ländern. Die Flächenkonkurrenz im urbanen Raum wurde neben der Finanzierung und Wirtschaftlichkeit von den Teilnehmenden des Dialogs als die größte Hürde für den Tiefengeothermieausbau benannt.
Geothermie am Münchner Michaelibad – flächensparend geplant
Der Platzbedarf ist vor allem in der Bauphase enorm. Für die Bohrungen werden in München an einem Standort in der Regel 1,7 bis 2 Hektar Fläche benötigt, hinzu kommt ein Platzbedarf für die Wärmestation von 3 000 bis 6 000 Quadratmetern. Neben dem Flächenbedarf müssen auch Fragen des Lärmschutzes, der Entfernung zum Wärmenetz und Naturschutzkriterien mitbedacht werden. Außerdem konkurrieren die Stadtwerke oft mit anderen Bauprojekten der Landeshauptstadt München, die beispielsweise für Schulen ebenfalls auf der Suche nach raren Flächen sind. „Hier müssen wir manchmal „Tetris spielen“, um auf einer Fläche mehrere Projekte gleichzeitig realisieren zu können“, beschreibt Bernhard Betzl von den Stadtwerken München die Situation. Die SWM suchen daher bereits vor der Detailkonzeption und dem Flächenerwerb für einen Anlagenstandort den engen Austausch mit der Stadtverwaltung.
Das Michaelibad könnte ein Erfolgsbeispiel dafür werden, wie mit der Flächenkonkurrenz umgegangen wird. Nach Fertigstellung der Bauarbeiten reduziert sich der Flächenbedarf auf ein Fünftel. Der betroffene Teil der Liegewiese des Freibads soll nach dem Bau zum größten Teil wieder nutzbar werden. Möglich wird dies dadurch, dass ein Großteil der Anlage als Tiefenbauwerk unter der Erde verschwindet. Nachteil einer solchen Vorgehensweise sind die sehr viel höheren Baukosten und extrem komplexe und lange Planungszeiträume.
Im Vergleich mit anderen Energieträgern bedarf es in der Tiefengeothermie sowieso schon besonders hoher Anfangsinvestitionen. Für München liegen die geschätzten Investitionen für die Umsetzung der Geothermiestrategie bei mehreren Milliarden Euro. Auf lange Sicht können sich diese wieder auszahlen. Anders als beispielsweise Erdgas ist die Geothermie nicht von preislich schwankenden Energieimporten abhängig.
Trotzdem können nicht alle Städte und Stadtwerke diese Investitionen ohne eine beträchtliche nationale Beteiligung an den Investitionskosten und Risiken stemmen. Hier äußerten die Dialogteilnehmenden einhellig, dass es nicht nur einer in der Summe höheren Finanzierung bedarf, sondern Förder- und Absicherungsprogramme langfristig verlässlicher aufgesetzt werden müssen. Dann könnten bald in mehr Städten in Frankreich und Deutschland die heißen Quellen sprudeln.