Von Frankreich lernen? Suffizienz in der deutschen Energiepolitik stärken
Das Deutsch-Französische Zukunftswerk brachte am 19. Februar 2025 in Berlin Suffizienzexpert:innen aus Forschung, Politik und Zivilgesellschaft zusammen.
Das Deutsch-Französische Zukunftswerk hat ein Jahr lang Expert:innen und Praktiker:innen aus Kommunen, Ministerien, Verbänden und Wissenschaft beider Länder in einen Austausch zu Suffizienzpolitik gebracht. Hieraus sind konkrete Politikvorschläge an die Regierungen beider Länder entstanden, die darauf abzielen, die Rolle der Suffizienz in der Energiewende zu stärken.
Marion Davenas eröffnete die Veranstaltung „En Débat“ mit einer Reihe von Denkanstößen und Thesen, die sich aus dem deutsch-französischen Vergleich ergeben. Im zweiten Schritt stellten Fabien Baudelet (Association négaWatt, Paris), Astrid Hake (Ökumenisches Netzwerk Klimagerechtigkeit, Hamburg) und Thomas Möller (Leiter der Stabsstelle Klimaschutz der Stadt Münster) ihre Perspektiven – aus deutscher, französischer und kommunaler Sicht – zu der Frage vor: Wie kann Suffizienz in der deutschen Energie- und Klimapolitik nach der Bundestagswahl gestärkt werden? Was können wir dabei von Frankreich lernen? Die Diskussion wurde unter der Moderation von Thomas Spinrath mit den Teilnehmenden fortgesetzt und förderte einen regen und konkreten Austausch über die möglichen Hebel.
Einige Anregungen aus der Diskussion:
Der französische Begriff sobriété beschreibt umgangssprachlich eine kluge Form der Nüchternheit und ist eher positiv besetzt. Dadurch konnte er sich im politischen Diskurs und in den Diskussionen um die Energiewende durchsetzen. Diese Konnotation hat dazu beigetragen, einen politischen Konsens über die Notwendigkeit eines begrenzten Ressourcenverbrauchs herzustellen.
In Deutschland ist das entsprechende Konzept der Suffizienz noch wenig bekannt und eher negativ konnotiert, was politische Entscheidungsträger:innen abschreckt. Wir müssen die positive Botschaft der Suffizienz stärker in die Diskussion einbringen.
„Abgeordnete haben wenig Vorstellungskraft, was Suffizienz in der politischen Umsetzung konkret bedeuten würde“, so ein Teilnehmer. Daher sei es wichtig, politische Entscheidungsträger:innen und die Bevölkerung für die Vorteile der Suffizienz zu sensibilisieren. Denn Suffizienz ist weit mehr als ein ökologischer Imperativ: Ressourcenschonende Lebensstile sind ein Hebel für soziale Gerechtigkeit und für mehr Resilienz, für die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Zugang zu Wohnraum. Es ist wichtig, diese Vorteile zu betonen – und gleichzeitig die vielfältigen Nachteile einer nicht-suffizienten Welt aufzuzeigen, mit der Frage: „Wer will wirklich allein in einem riesigen Haus leben, das kaum zu beheizen ist?“
Braucht Deutschland eine nationale Suffizienzstrategie? Hier scheiden sich die Geister: Soll das Wort Suffizienz vermieden werden und stattdessen Sektor für Sektor - in den Bereichen Wohnen, Mobilität, Stadtentwicklung - konkrete und attraktive Maßnahmen der Suffizienzpolitik ergriffen werden, die für sich selbst sprechen? Oder soll ein übergeordneter Suffizienzplan verabschiedet werden, der das Konzept so weit wie möglich in die Breite trägt, um dessen Akzeptanz zu fördern?
Diese Überlegungen bereichern die politischen Handlungsempfehlungen, die das Deutsch-Französische Zukunftswerk an die Regierungen Deutschlands und Frankreichs gerichtet hat, mit dem Ziel, das Konzept der Suffizienz nachhaltig in den Politiken der Energiewende zu verankern.
Lesen Sie auch unsere Publikation zum Thema „Wege zum Genug: Sechs Thesen zur Suffizienz aus dem deutsch-französischen Dialog“
En Débat
Mit der Veranstaltungsreihe En Débat stellt das Deutsch-Französische Zukunftswerk ausgewählte Forschungs- und Arbeitsergebnisse vor und beleuchtet im Rahmen eines gemeinsamen Erfahrungsaustauschs Perspektiven zu Transformationsansätzen in Deutschland und Frankreich.
Sie haben Fragen zur Veranstaltung? Zögern Sie nicht, auf uns zuzukommen!
Foto: © Johanna Fischer Photography
Thomas Spinrath ist Politikwissenschaftler und Transformationsforscher und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutsch-Französischen Zukunftswerk. Er begleitet in ko-kreativen Forschungsprozessen Städte auf dem Weg der sozial-ökologischen Transformation. Thomas Spinrath hat einen M.A. in Transformationsstudien (Europa-Universität Flensburg) und einen B.A. in Politik und Gesellschaft (Universität Bonn). Er ist Alumnus des europäischen Programms DialoguePerspectives. Discussing Religions and Worldviews.
Marion Davenas ist seit Januar 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutsch-Französischen Zukunftswerk. Sie hat Politikwissenschaften an der Sciences Po Paris und an der Freien Universität Berlin studiert. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf Postkolonialismus, Rassismuskritik und kritisches Weißsein. Vor ihrer Tätigkeit für das Zukunftswerk arbeitete sie sieben Jahre für zivilgesellschaftliche Organisationen im Bereich der diskriminierungskritischen Bildung. Seit 2019 ist sie zertifizierte Mediatorin. Im Deutsch-Französischen Zukunftswerk liegt ein Schwerpunkt ihrer Arbeit auf der Konzeption und Moderation von Dialogveranstaltungen mit und für Akteur:innen der sozial-ökologischen Transformation. Sie begleitet und unterstützt kollaborative und ko-kreative Prozesse und setzt interaktive und partizipative Methoden ein, um Räume für Dialog, Austausch und gegenseitiges Lernen zu schaffen.