Wie digitale Dialogtools die Energiewende voranbringen

Von Nicolas Geffroy
Übersetzung ins Französische von Robin Denz
Als Stadtplaner kenne ich das Problem gut: Partizipation scheitert oft an der praktischen Umsetzung. Die formelle Bürger:innenbeteiligung, die tatsächlich in Planungsprozesse einfließt, erfordert schriftliche Stellungnahmen und bleibt oft ohne echten Austausch. Informelle Verfahren wiederum, wie abendliche Diskussionen in Gemeindehäusern oder Kitas, kranken an ihrer Beliebigkeit: Wer am häufigsten und lautesten spricht, dominiert.
Schon während meines Studiums fragte ich mich oft, warum nicht bessere Lösungen zum Einsatz kommen. Besonders im digitalen Zeitalter sollte es doch möglich sein, wissenschaftliche Informationen leicht verständlich zu vermitteln und so eine fundierte Grundlage für Diskussionen zu schaffen. Bürger:innen könnten spielerisch in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Besonders bei der Auswahl großer Flächen für Windenergie ist das wichtig – denn immer wieder stoßen neue Anlagen auf lokaler Ebene auf Unverständnis und Widerstand.
Versuchslabor Sarstedt: PV auf Dächern oder Freiflächen?
Bei unseren Recherchen stießen wir auf das Veranstaltungskonzept VisionEn: 2040, das derzeit in Niedersachsen erprobt wird und in Zusammenarbeit von der Leibnitz Universität Hannover, der Klimaschutzagentur Region Hannover und dem Softwareunternehmen IP Syscon entwickelt wurde. Die Gemeinde Sarstedt nahm an einem Testlauf des Projekts teil – und ich durfte dabei sein. Rund 30 Menschen, einige von ihnen engagiert in der Lokalpolitik, erprobten die interaktive Karte des Gemeindegebiets.
Auf großen Touchbildschirmen konnten sie Flächen zuweisen und dabei aus vier Energiequellen wählen: kleine und große Windkraftanlagen, Freiflächen-Photovoltaik (PV) und Dachflächen-PV. Die Benutzeroberfläche zeigte dabei farblich kodiert, welche Flächen sich eignen: rot für ausgeschlossen, grün für besonders geeignet, gelb und orange für bedingt bzw. nicht geeignet. Klicken die Teilnehmenden auf eine Fläche, erklärt das Tool die Gründe für die Eignung oder Nicht-Eignung.
Der Clou: Das Tool zeigt einen Zielwert für den Energieertrag der Gemeinde. Dieser Wert gibt an, wie viel Energie die Gemeinde lokal erzeugen sollte, um ihren Beitrag zu einer klimaneutralen Energieversorgung zu leisten. Er orientiert sich proportional an den Projektionen für den nationalen Verbrauch im Jahr 2040, berücksichtigt aber auch, was jeweils vor Ort menschen- und naturschonend möglich ist. Der zu erreichende Wert ist dementsprechend geringer im dicht besiedelten Sarstedt, als in anderen Gemeinden der gleichen Größe.

Schnell entbrannten in den Gruppen lebhafte Diskussionen darüber, ob Windkraftanlagen oder doch eher Freiflächen-PV die beste Wahl wären. Manche Gruppen erreichten den Zielwert, andere nicht. Einige legten ihren Schwerpunkt auf Freiflächen-PV entlang der Autobahnen, während andere den Windausbau forcierten, um die fruchtbaren Böden der Region zu schützen. „Wir erleben bei unseren Veranstaltungen wirklich intensive Diskussionen und erhalten neue Erkenntnisse über die Flächen“, berichtete mir Prof. Dr. von Haaren, die das Projekt mit ihrem Team für die Universität Hannover begleitet. „Die Menschen vor Ort bringen wertvolle Informationen dazu ein, wo Anlagen am besten stehen könnten.“
Für Sarstedt entstanden am gleichen Abend konkrete Aktionsvorschläge durch die Bürger:innen, darunter auch: „Wir fordern die Bürgermeisterin auf, sich verstärkt mit der Dachflächen-PV zu beschäftigen.“ Andere Kommunen hätten bereits Förderprogramme für Dach-PV aufgesetzt, und ohne solche Maßnahmen müsste Sarstedt wohl seine fruchtbaren Böden für Freiflächen-PV opfern.
Doch im Plenum wurden auch Grenzen des Tools deutlich. Mehrfach musste Prof. Dr. von Haaren die Datenbasis und Berechnungen erklären, um Missverständnisse zu klären. Ihr Fachwissen zu Landschaftsplanung, Energieversorgung und Bodenschutz war essenziell, um offene Fragen zu beantworten. Ich fragte mich, wie die Diskussion verlaufen wäre, wenn sie nicht dabei gewesen wäre. Auch bei VisionEn: 2040 hängt der Erfolg letztlich davon ab, ob sich genügend engagierte Bürger in den Gemeindesälen einfinden.
Prof. Dr. von Haaren erläuterte mir im Hintergrundgespräch erste Lösungsansätze: „Mittelfristig möchten wir das Tool online verfügbar machen. Um auch online fundierte Diskussionen zu ermöglichen, würden wir gerne einen KI-Chatbot entwickeln, der häufige Fragen mit wissenschaftlich fundierten Daten beantworten kann.“
Konkrete und lokale Vorteile der finanziellen Beteiligung aufzeigen
Erste Anpassungen des Tools wurden seit der ersten Version bereits vorgenommen. So wird beispielsweise angezeigt, welche konkreten CO₂-Einsparungen der gewählte Energiemix unter Berücksichtigung der Senken- und Speicherfunktion der Böden vor Ort ermöglicht.
Die Entwickler:innen von Vision:En 2040 wollten auch das Potenzial der finanziellen Beteiligung von Bürger:innen und Gemeinden an entstehenden Energieprojekten aufzeigen - ein Thema, dem sich das Zukunftswerk im Rahmen einer unserer politischen Handlungsempfehlungen zur kommunalen Energiewende widmet. Um die gesellschaftliche und finanzielle Teilhabe am Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben, empfiehlt das Zukunftswerk eine flächendeckende und faire Beteiligung. Um die Dimension dieser finanziellen Beteiligung aufzuzeigen, zeigt das Tool inzwischen auch an, wie viel Euro bei einer Beteiligung, wie sie das EEG derzeit vorsieht, für die Kommune und die Bürger:innen abfallen könnten.
Mehr Teilhabe bei der Energiewende: Zukunftswerk fordert einfache Dialogtools für Bürger:innen
Noch immer bin ich beeindruckt, wie schnell an diesem Abend eine sachliche, faktenbasierte Diskussion über eines der umstrittensten Themen der Energiewende entstand: die Frage, wo Wind- und Solaranlagen errichtet werden sollen. Ich frage mich, welches Potenzial noch in diesem Projekt steckt. Und ich frage mich auch, inwieweit andere vergleichbare Projekte wie EmPowerPlans des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung noch neue Perspektiven für solche Tools eröffnen können.
Vision En: 2040 fand ebenfalls Anklang während unseres interdisziplinären Workshops in Chemnitz im Oktober 2024. Die Teilnehmenden der sogenannten deutsch-französischen Resonanzräume kamen zu dem Schluss: Solche Tools sollten weiterentwickelt und flächendeckend eingeführt werden, um die Bürger:innen bei der Auswahl geeigneter Flächen zu beteiligen.
So inspirierte Vision:En 2040 letztlich eine unserer politischen Handlungsempfehlungen zur kommunalen Energiewende, in der wir die Einführung niedrigschwelliger Dialogtools für mehr Teilhabe bei der Flächenauswahl empfehlen.