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„Wir brauchen ein Umschwenken von der energetischen zur nachhaltigen Betrachtung von Gebäuden“

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Dr. Tillman Prinz
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Person mit kurzen dunkelgrauen Haaren und Brille. Sie trägt ein weißes Hemd und dunkelblaues Jackett.
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Dr. Tillman Prinz ist Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer. | Foto: Anja Grabert
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In Deutschland und Frankreich bleiben die Sanierungsraten deutlich hinter den nationalen Zielen zurück. Was muss die neue Regierung anders machen? Im Austausch mit Thomas Spinrath spricht der Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer, Dr. Tillman Prinz, über fehlende Investitionen, die wichtige Rolle von europaweit verfügbaren Daten und das vergessene Potenzial der Wohnsuffizienz.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
21.04.2025
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Interview auf Deutsch von Thomas Spinrath
Ins Französische übersetzt von Marie Millot-Courtois

 

Der Erfolg der Energiewende entscheidet sich im Wohngebäudebereich: Rund ein Viertel des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Wohnsektor, in Frankreich ist es knapp ein Drittel. Bislang werden die Klimaziele im Gebäudesektor jedoch regelmäßig verfehlt. Das Zukunftswerk fordert daher von den Regierungen in Berlin und Paris, lokale Strategien für die energetische Sanierung zu stärken. Dazu braucht es unter anderem gebäudespezifische Datenbanken, die mit anonymisierten sozioökonomischen Daten verknüpft werden. Es fordert außerdem Maßnahmen, die eine effizientere Nutzung des Wohnungsbestandes fördern – bislang ein blinder Fleck der Energiewende. Damit energetische Sanierung und der flächensparende Umbau von Gebäuden gelingen, braucht es kluge architektonische Konzepte. Daher haben wir Dr. Tillman Prinz, den Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer getroffen, um über die Empfehlungen des Zukunftswerks zu diskutieren.

Herr Prinz, Deutschland hat auch 2024 die Klimaziele im Gebäudesektor verfehlt. Was läuft aus Ihrer Sicht bisher falsch?

Es fehlen die Investitionen in die Gebäudesanierung. In Deutschland ist ganz klar: Es geht nicht um Neubau, es geht um den großen Bestand, der umfassend energetisch saniert werden muss. Technisch ist das möglich. Dazu braucht es Fördermittel und Investitionen vom Staat. Die ganzen Gebäudeeigentümer sind oft nicht mehr in dem Alter, dass sie mit über sechzig, siebzig Jahren noch Kredite in Höhe hunderttausender Euro aufnehmen – wenn sie sie überhaupt bekommen würden.

Eine Rückmeldung, die uns Kommunen immer wieder geben, ist, dass sie nicht über ausreichend Gebäudedaten verfügen, um Sanierung effektiv anstoßen und beraten zu können. Aus Sicht des Architekten: Inwiefern sind diese Daten so wichtig, um die Sanierungsquoten steigern zu können?

Es ist unser Riesenproblem, dass in den Tausenden Städten und kleinen Gemeinden unterschiedliche Daten in unterschiedlichen Formaten liegen. Anbieter für Sanierungsleistung, für Planung und auch für Bauen sind aber nicht immer lokal vorhanden. Für eine große Wohnbausiedlung wird die Sanierung nicht unbedingt der Handwerker vor Ort machen können, sondern es muss vielleicht eine Firma sein, die ganz woanders sitzt in Deutschland oder woanders in Europa. Die können jedoch auf diese Daten nicht zurückgreifen, wenn die nur lokal verankert abliegen. Deswegen sprechen wir mit der Europäischen Kommission auch über eine EU-weite Betrachtung.

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„Es ist ein Riesenproblem, keine einheitlichen, europaweit verfügbaren Gebäudedaten zu haben.“
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Stichwort EU-weite Betrachtung: Die neue EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) sieht die Einrichtung von Gebäudedatenbanken vor. Das Zukunftswerk fordert, diese mit anonymisierten sozio-ökonomischen Daten zu verknüpfen. Was braucht es Ihrer Meinung nach ganz konkret, damit eine europaweit zugängliche Datenbank umsetzbar ist?

Die EU muss einheitliche Vorgaben zum Format einer Datenbank und zu den programmierbaren Schnittstellen machen. Sonst schafft sich eine Bauverwaltung ein neues Programm an, was inkompatibel ist mit dem Programm der Nachbarbauverwaltung. Mit EU-weit kompatiblen und zugänglichen Daten hätte man einen viel, viel größeren Hebel als bisher. Man wüsste, wo Handwerker und Baumaterialien gerade am meisten gebraucht werden.

Frankreich hat bereits eine landesweite Datenbank ...

... und profitiert in der Datensammlung sicherlich davon, zentralistischer organisiert zu sein. Der Föderalismus hat natürlich sein Gutes, aber die Regelungsunterschiede sind dann doch immer wieder sehr hoch.

Die EU-Gebäuderichtlinie gibt ebenfalls vor, bis Mitte 2026 zentrale Anlaufstellen zur Begleitung von Eigentümer:innen zu schaffen. Wie sollten diese sogenannten One-Stop-Shops Ihrer Meinung nach konkret ausgestaltet werden?

Sie müssen Angebote bündeln und diese für den Bürger leicht verständlich machen. Das ist immer das Problem bei den KfW Förderprojekten (Kreditanstalt für Wiederaufbau, Anm. d. Redaktion). Die KfW hat wirklich tolle Angebote, aber es ist sehr schwer, sie zu verstehen und zu ermitteln: Was ist jetzt für mich als Bauherr oder Bauherrin besonders relevant?

Die bisherige Energieberatung geht außerdem nicht weit genug. Das zeigen Sie ja auch in Ihren Forderungen auf. Das ganze Thema der Suffizienz: Brauche ich mein Gebäude in dieser Form überhaupt weiter? Ist die Veränderung des Grundrisses am Ende energetisch sinnvoller, als nur neue Fenster einzubauen? Diese ganzheitliche Gesamtbetrachtung, die fehlt gesammelt und einfach an einer Stelle abrufbar.

Témoignage / Text
„Die Energieberatung braucht eine ganzheitlichere Betrachtung.“
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Sie weisen hier auf einen relevanten Punkt hin: Während unsere Wohnungen immer energiesparender werden, nehmen wir im Durchschnitt immer mehr Wohnfläche in Anspruch. Dies macht die Einsparungen wieder zunichte. Während der Energieverbrauch pro Quadratmeter Wohnfläche sinkt, stagniert er pro Kopf aufgrund der wachsenden Wohnflächen. Warum führen wir in der Energiewende nicht stärker eine Debatte um eine bedarfsgerechte Verteilung von Wohnflächen?

Das ist natürlich ein gesellschaftliches Sprengstoffthema. Wohnsuffizienz wird schnell missverstanden als Verzicht oder: Wir nehmen Leuten was weg! Die Frage ist ja, wie wir eigentlich leben möchten. Und ich nehme auch an, dass viele Menschen bereit wären, umzuziehen, sich auch zu verkleinern. Dazu haben sie aber viel zu wenig Unterstützung. Dieses Bewusstsein zu schaffen, was es für Möglichkeiten gibt, ohne dass ich mich stark einschränke, da könnte noch sehr viel mehr passieren.

Welche Möglichkeiten haben Ihrer Meinung nach Bund und Länder, Wohnsuffizienz zu fördern?

Es gibt bereits Programme, wie zum Beispiel Jung kauft Alt vom Bund – das finde ich sehr gut. Junge Familien, die unterstützt werden, alte Einfamilienhäuser zu kaufen im Tausch für eine Wohnung möglicherweise in der Stadt, wo das ältere Ehepaar vielleicht hinziehen möchte, was vorher in dem Haus gelebt hat.

Die Bundesarchitektenkammer hat sich seit einigen Jahren für eine ‚Umbauordnung‘ eingesetzt. Diese könnte helfen, den Bestand so umzubauen, dass er bedarfsgerechter genutzt werden kann. Wie steht es aktuell um deren Umsetzung?

Wir haben die Musterbauordnung des Bundes umgeschrieben als Vorschlag, dass der Bestand gegenüber dem Neubau privilegiert und gefördert wird. Das wurde angenommen. Auf dieser Basis haben gerade einige Bundesländer – unter anderem Niedersachsen, Bremen und Hamburg – in den Landesbauordnungen entsprechende Vorschriften eingefügt. Es muss nun immer zuerst geprüft werden, ob ein Gebäude erhaltenswert ist oder unter welchen Voraussetzungen es nicht mehr erhaltenswert ist. Der nächste wünschenswerte Schritt wäre, die sogenannte Lebenszyklusbetrachtung in das Bauantragsverfahren zu integrieren. Dabei dürfen, wie beispielsweise in Dänemark, gewisse Grenzwerte zum CO-Ausstoß über den Lebenszyklus des Gebäudes gerechnet nicht überschritten werden. Andernfalls wird keine Baugenehmigung erteilt. Ein Umbau würde hierdurch attraktiver werden, weil kein zusätzliches CO wie beim Neubau angerechnet würde. 

Zum Abschluss: Welche dringendsten Projekte sollte die neue Bundesregierung in ihren ersten 100 Tagen im Gebäudebereich umsetzen?

Wir brauchen ein klares Umschwenken von der reinen energetischen Betrachtung zur nachhaltigen Betrachtung und damit eben auch zum CO-Ausstoß. Es darf nicht allein darum gehen, nur Energieeffizienz weiter zu fördern und weitere Dämmung vorzuschreiben. Der CO₂-Ausstoß eines Gebäudes muss insgesamt betrachtet werden, sowohl was die Errichtung angeht als auch den Betrieb eines Gebäudes. Hier würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung klarere Vorgaben macht. 

Zum Beispiel?

Die Bundesregierung muss das Gesetzgebungsverfahren für die Einführung des sogenannten Gebäudetyps E voranbringen. Die Initiative für diesen Planungsansatz kommt aus der Architektenschaft und liegt bereits als Gesetzesentwurf vor. Es geht darum, Gebäude suffizienter, kostengünstiger und dennoch qualitativ hochwertig zu bauen, indem komfortorientierte Normen, wie zum Beispiel im Schallschutz, zugunsten von „einfachem Bauen“ vernachlässigt werden dürfen. Wir können uns da im Übrigen einiges von der französischen Baukultur abschauen, wo ich oft bessere und kreativere Ideen sehe.
 

Vielen Dank für das Gespräch!

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Über Dr. Tillman Prinz

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Dr. Tillman Prinz ist Jurist und seit 2003 Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer. Er hat zu französischem Urheberrecht für Architekten promoviert.