Finanzielle und gesellschaftliche Teilhabe am Ausbau der erneuerbaren Energie stärken
„Ein Bürgerenergieprojekt, das von Kommunen und Einwohner:innen kontrolliert und finanziert wird, erzeugt in Frankreich im Durchschnitt zwei bis drei Mal höhere lokale Wertschöpfung als ein privates Projekt.“ (Studie Énergie partagée, 2019)
Gleichzeitig eröffnet der Ausbau erneuerbarer Energien neue Chancen für die regionale Wertschöpfung. Die finanzielle Beteiligung von Kommunen und Bürger:innen an Windenergie- und Photovoltaikanlagen ist das Rückgrat für eine höhere Akzeptanz. Um den Nutzen der Energiewende für alle erfahrbar zu machen, muss Beteiligung aber weiter gehen und echte Teilhabe ermöglichen. Menschen sollen sich die Energiewende zu eigen machen, indem sie nicht nur mitverdienen, sondern auch mitmachen und mitbestimmen können.
In Kürze
- Um die Energiewende lokal zu verankern, müssen Menschen sie sich zu eigen machen, das heißt mitverdienen, mitmachen und mitbestimmen können.
- Grundlage dafür ist eine flächendeckende finanzielle Beteiligung von Kommunen und Bürger:innen an der Wertschöpfung der erneuerbaren Energien (EE). Entsprechende gesetzliche Regelungen sollten in Deutschland weiterentwickelt und in Frankreich eingeführt werden.
- Für eine demokratische und lokale Verankerung der Energiewende sollte außerdem ein Teil der Erträge aus EE in regionale integrierte Energiesysteme reinvestiert und die Bürgerenergie stärker gefördert werden.
Die Gemeinde Hoort, Vorreiterin der Bürgerwindenergie: Im Jahr 2020 ging der Windpark Hoort in Mecklenburg-Vorpommern in Betrieb. Das Besondere an diesem Projekt: Vier der sechzehn Windräder wurden von der ortsansässigen Windpark Hoort 2 GmbH & Co. KG gekauft. Diese gehört knapp zur Hälfte der Gemeinde Hoort, den Rest der Anteile halten Hoorter Bürger:innen sowie Umlandgemeinden und der lokale Energieversorger.
Mit 25 Prozent der Anteile am Windpark ist die finanzielle Beteiligung von Gemeinden und Bürger:innen sogar höher als in Mecklenburg-Vorpommern vorgeschrieben. Dort trat 2016 das erste Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Kraft. Es verpflichtet Betreibergesellschaften von Windparks dazu, mindestens 20 Prozent ihrer Anteile den umliegenden Gemeinden und Anwohnenden anzubieten.
Für die kleine Gemeinde Hoort hat sich durch die Gewinnausschüttungen und Pachteinnahmen die finanzielle Situation deutlich verbessert: Der Haushalt ist für die nächsten 20 Jahre gesichert. Die Einnahmen fließen zum Beispiel in die Renovierung des Gemeindezentrums oder in den Betrieb der örtlichen Kindertagesstätte. Bei den Bürger:innen vor Ort führt dies zu einer hohen Identifikation mit „ihrem“ Windpark:
„Als der Windpark fertig war, gab es für den ganzen Ort eine große Einweihungsparty direkt im Windpark. Das ist wichtig für das Miteinander!“
- Iris Feldmann, Bürgermeisterin von Hoort
Mit § 6 EEG wurde in Deutschland für Betreiber von Windenergieanlagen und PV-Freiflächenanlagen die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, Kommunen auf freiwilliger Basis mit 0,2 Cent pro Kilowattstunde an der Erzeugung erneuerbarer Energien zu beteiligen. Verschiedene Bundesländer haben zudem eigene Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die Betreiber dazu verpflichten, Gemeinden und Einwohner:innen eine finanzielle Beteiligung anzubieten.
In Frankreich soll mit Artikel 93 des Gesetzes zur Beschleunigung der Erzeugung erneuerbarer Energien (Loi APER) ein verpflichtender Rahmen für eine finanzielle Beteiligung geschaffen werden. Er sieht vor, dass ein Teil der Einnahmen den betroffenen Gemeinden zugute kommt. Die entsprechende Durchführungsverordnung der französischen Regierung wurde jedoch noch nicht veröffentlicht.
Unsere Aktionsvorschläge
Es braucht flächendeckende Regelungen, die Betreiber verpflichten, Kommunen und Bürger:innen an den Gewinnen von Windkraftanlagen und PV-Freiflächenanlagen zu beteiligen. Insbesondere die finanzielle Beteiligung der Kommunen ermöglicht eine gemeinwohlorientierte Nutzung der Erlöse. Die gesetzlichen Regelungen sollten dabei über eine reine Gewinnbeteiligung hinausgehen und die Teilhabe der Bürger:innen und Kommunen an der Energiewende durch demokratische Gestaltungs- und Mitsprachemöglichkeiten fördern. Dafür sollten:
- entsprechende Regelungen auf Bundesebene ambitionierteren Beteiligungsgesetzen auf Länderebene nicht entgegenwirken. Zu restriktive Vorgaben auf Bundesebene können in der Praxis zu einem Gegeneffekt führen: Betreiber lassen sich dann nicht mehr auf anspruchsvollere, den lokalen Bedürfnissen entsprechende Beteiligungsmodelle ein. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn für Ländergesetze die Auswahlmöglichkeit einer einfachen Vergütung im Sinne des § 6 EEG für die Betreiber vorgeschrieben wird;
- die Gesetze den notwendigen Raum für eine flexible Ausgestaltung der Beteiligung bieten, um je nach örtlichen Gegebenheiten eine finanzielle und/oder gesellschaftsrechtliche Teilhabe der Kommunen und der Bürger:innen zu gewährleisten;
- die Bundesländer auf einheitliche Regelungen hinwirken.
Regionale integrierte Energiesysteme bieten neue Möglichkeiten, Überschussstrom lokal zu nutzen, beispielsweise für die Wärmeerzeugung oder Elektromobilität, und somit Abregelungen von PV- und Windkraftanlagen aufgrund begrenzter Netzkapazitäten zu vermeiden. Diese Sektorkopplung bringt den Bürger:innen auch die Energiewende näher und fördert die regionale Wertschöpfung.
Doch der Aufbau integrierter Energiesysteme ist komplex. Insbesondere Wärmenetze erfordern einen hohen Kapitaleinsatz (vgl. Empfehlung Finanzierung der kommunalen Wärmewende erleichtern). Die Einnahmen durch kommunale Beteiligungen an EE-Anlagen bieten hier neue Möglichkeiten der Querfinanzierung. Um die Reinvestition in integrierte Energiesysteme besonders zu fördern, sollten die National- und Landesregierungen beider Länder:
- die Beteiligungsgesetze (DE) bzw. die Durchführungsverordnung (FR) so anpassen, dass die Reinvestition in solche Systeme möglich ist und nicht durch zu restriktive Vorgaben wie die Zweckbindung verwendeter Mittel verhindert wird. Dabei könnte zum Beispiel mit gesetzgeberischen Hinweisen gearbeitet werden;
- durch Informationskampagnen für das Thema sensibilisieren;
- Förderprogramme auflegen oder neu ausrichten, sodass jeder Euro, den eine Kommune aus der Gewinnbeteiligung in ein solches System reinvestiert, mit einem weiteren Euro belohnt wird;
- die Energieagenturen der Bundesländer bzw. die französische Umweltagentur ADEME beauftragen, die Kommunen in diesem komplexen Prozess zu begleiten.
Angelehnt am Beispiel von Energie Partagée sollte mithilfe staatlicher Finanzierung ein Bundeskompetenzzentrum geschaffen werden, um Bügerenergieprojekte zu unterstützen.
Als zentrale Anlaufstelle sollte das Zentrum Bürger:innen und Initiativen beraten und unterstützen, unter anderem bei der Umsetzung von Energy-Sharing-Projekten.
s. Empfehlung Energy Sharing flächendeckend ermöglichen.
Dabei sollte eng mit den bestehenden Energieagenturen der Länder zusammengearbeitet werden. Akteure der Bürgerenergie sollten bei der Einrichtung und Umsetzung eingebunden werden.
Ein zentraler Aufgabenbereich des Zentrums wäre die umfassende Finanzierungsberatung. Die Expert:innen unterstützen dabei, Förderanträge zu erstellen sowie tragfähige und innovative Finanzierungskonzepte zu entwickeln.
Perspektivisch sollte das Kompetenzzentrum auch die Verwaltung eines speziellen Bürgerenergiefonds übernehmen. Dieser Fonds würde verschiedene Akteure wie Bürger:innen, Banken und etablierte Bürgerenergieorganisationen einbinden und so eine zusätzliche Finanzierungsquelle für gemeinschaftliche Energieprojekte schaffen.
Der französischen Regierung empfiehlt das Zukunftswerk, die Rahmenbedingungen für eine bessere Beteiligung von Kommunen und Bürger:innen zu schaffen. Dafür sollte die Durchführungsverordnung zu Artikel 93 des APER-Gesetzes zügig veröffentlicht und dessen Reichweite erweitert werden. Dazu sollte die bisher vorgesehene Einmalzahlung an die Kommunen als jährliche Abgabe ausgestaltet werden und den Bürger:innen und Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, sich an den Projektgesellschaften zu beteiligen.
Weitere Inspiration
Der von Regionen, der französischen Umweltagentur ADEME und Stiftungen finanzierte Verein stützt sich auf drei Säulen: Énergie Partagée Association vereinigt und vertritt die Akteur:innen der Bürgerenergie und sensibilisiert für das Thema; die Genossenschaft Energie Partagée Coopérative begleitet Bürgerenergieprojekte durch technische und finanzielle Beratungs- und Vernetzungsangebote; die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) Énergie Partagée Investissement sammelt im gesamten Land Kapital von privaten Bürger:innen und investiert es in Bürgerenergieprojekte.