Finanzierung der kommunalen Wärmewende erleichtern

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Foto: Peter Naht / Wikimedia Commons
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Auf beiden Seiten des Rheins ist die Wärmeproduktion größtenteils fossil – ihre Transformation gemäß den Zielen der Europäischen Union ist eine Herkulesaufgabe auf dem Weg zur Klimaneutralität. Bis 2030 plant Frankreich, den Anteil erneuerbarer Energie und Abwärme auf 38,8 Prozent zu steigern, Deutschland strebt 50 Prozent erneuerbare Wärme an. Fernwärme spielt dabei eine Schlüsselrolle: Für ihren Ausbau sind in Deutschland bis 2030 rund 43,5 Milliarden Euro nötig, in Frankreich sind es rund 22 Milliarden Euro.
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Die Dekarbonisierung des Wärmesektors ist zuallererst eine Aufgabe der lokalen Ebene. Allerdings fehlt Kommunen in Deutschland und Frankreich oft das nötige (Eigen-)Kapital für den Ausbau von Wärmenetzen und erneuerbaren Wärmequellen. Hohe Anfangsinvestitionen und lange Amortisationszeiten stehen begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten gegenüber. Dabei bedarf es maßgeschneiderter Lösungsansätze für die unterschiedlichen Wärmequellen.

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Wärme macht etwa 50 Prozent des Energieverbrauchs in Frankreich und Deutschland aus.
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In Kürze

  • Die Dekarbonisierung des Wärmesektors ist eine Aufgabe der lokalen Ebene. Kommunen stehen bei der Umsetzung der Wärmewende jedoch vor Finanzierungsschwierigkeiten.
  • Es sollten Bürgschafts- und Kommunalkreditprogramme aufgelegt werden, um die Kreditfähigkeit von Kommunen und ihren kommunalen Energieversorgern zu stärken.
  • Die Nutzung von Tiefengeothermie und industrieller Abwärme in Wärmenetzen sollte durch spezielle finanzielle Mechanismen abgesichert werden.
Chiffres-clés / Schüsselzahlen
Chiffre / Zahl
6x
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Bis 2028 soll sich die Menge der verwerteten industriellen Abwärme in Frankreich im Vergleich zu 2016 um das Fünf- bis Sechsfache zu erhöhen. (Quelle: Mehrjährige Energieplanung PPE der französischen Regierung)
Chiffre / Zahl
50 Prozent
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Etwa die Hälfte der Fläche in Deutschland und Frankreich weist Potenzial für Tiefengeothermie auf.
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Lokale Inspiration: Die Stadt Potsdam
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Der regionale Energieversorger Energie und Wasser Potsdam (EWP) muss bis 2035 das erdgasbetriebene Heizkraftwerk ersetzen, das heute der Hauptlieferant für Strom und Wärme in Potsdam ist. Dafür sind bis 2030 Investitionen von rund 350 Millionen Euro nötig.

Die EWP hat gemeinsam mit ihren Gesellschaftern und Förderbanken tragfähige Finanzierungsmodelle erarbeitet. Doch fehlt es dem Unternehmen an den nötigen 20 Prozent Eigenkapital für das Projekt, auch weil ein Anteil der Gewinne der EWP an defizitäre städtische Unternehmen wie zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr umverteilt werden. Die Gesellschafter der EWP, darunter die Landeshauptstadt Potsdam, müssen Lösungen finden, um Eigenkapital aufzubauen. Beispielsweise könnte die Stadt einen Kredit aufnehmen.

Potsdam steht beispielhaft für viele Kommunen in Deutschland und Frankreich, die trotz eines großen und langfristig wirtschaftlichen Potenzials an der Finanzierung einer klimaneutralen Wärmeversorgung zu scheitern drohen.

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Dies- und jenseits des Rheins
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Die französische Umweltagentur ADEME legt für Frankreich eine klare Rangfolge der zu nutzenden erneuerbaren Wärmequellen fest. Diese muss berücksichtigt werden, wenn Fördermittel von ADEME aus dem sogenannten Wärmefonds (Fonds Chaleur) beantragt werden. Als letztmögliche Option begrenzt die Regelung die Nutzung von Biomasse. Die Senkung der Wärmepreise für die Endkund:innen ist eine Förderbedingung des französischen Wärmefonds für bestimmte Wärmenetzprojekte.

In Frankreich gilt außerdem eine ermäßigte Mehrwertsteuer für Wärmenetze, wenn sie zu mehr als 50 Prozent aus erneuerbaren Energien und Abwärme gespeist werden.

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Unsere Aktionsvorschläge

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Bürgschaftsprogramme für kommunale Wärmenetze und für erneuerbare Wärmeerzeugung auflegen
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In Deutschland sollten Bund und/oder Länder Bürgschaftsprogramme und Kommunalkredite auflegen. Sie sichern die Liquidität kommunaler Energieversorger und Kommunen ab, wenn das Eigenkapital fehlt. Ein Konsortium öffentlicher Banken oder Beteiligungsgesellschaften der Länder könnte Träger dieser Bürgschaftsprogramme sein. Ziel ist eine gestärkte Kreditwürdigkeit. Sie ermöglicht Kommunen einen besseren Zugang zu Fremdkapital für die Finanzierung von Wärmenetzen und erneuerbaren Wärmeerzeugungsanlagen.

Damit solche Bürgschaftsprogramme für Kommunen und kommunale Energieversorger einen möglichst großen Mehrwert haben, sollte der Zugang zu weiteren Fördermitteln, (Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW), Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG)) parallel möglich sein.

Für den Erfolg dieser Instrumente wäre es ergänzend erforderlich, kommunale Finanzkompetenz für zukunftsweisende Investitionen zu stärken. Zugleich gilt es, die Kommunalaufsichten für notwendige Handlungsspielräume der Kommunen sowie Banken für eine realistische Risikoabschätzung von Wärmeprojekten zu sensibilisieren.

Lesen Sie auch unsere Handlungsempfehlung zum Thema Kompetenz der Kommunen und ihrer Partner:innen für die Wärmewende stärken.

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Nutzung industrieller Abwärme absichern
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Trotz eines großen Potenzials wird industrielle Abwärme in Frankreich und Deutschland nur geringfügig genutzt. Eine zentrale Hürde stellt die ungewisse Nutzungsdauer verfügbarer Abwärmequellen dar. An einigen Standorten kann die Abwärmequelle aufgrund von Klimaschutzmaßnahmen perspektivisch ganz wegfallen, an anderen kann die Abwärmequelle –  im Zuge einer Standortverlagerung – umziehen. Abwärmelieferanten zögern oft, sich über ihr Kerngeschäft hinaus vertraglich zu binden.

Um den notwendigen Vertragsabschluss zwischen Produzenten und Abnehmern zu erleichtern, sollten die Regierungen in Frankreich und Deutschland die Nutzung von Abwärme finanziell absichern. Der Mechanismus sollte zwei Funktionen erfüllen:

  • Noch nicht refinanzierte Kosten für zeitlich begrenzt verfügbare Abwärme kompensieren;
  • Ersatzinvestitionen in eine andere erneuerbare Energiequelle für dauerhaft verfügbare Wärmequellen – bspw. aus Rechenzentren - ermöglichen.

Eine Pfadabhängigkeit zugunsten fossiler Wärmequellen sollte für begrenzt verfügbare Abwärme jedoch vermieden werden. Es sollte geprüft werden, ob die notwendigen Mechanismen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwaltet und durch staatliche Mittel finanziert werden könnten.

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Machbarkeit der Wärmeversorgung als kommunale Pflichtaufgabe prüfen
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Spätestens nach Abschluss der Wärmeplanung müssen kleine Kommunen die Umsetzung meistern. Aus Mangel an Ressourcen wird diese meist in die Hände von Energieversorgern oder privaten Entwicklern gegeben. Es sollte geprüft werden, ob die Verankerung der Wärmeversorgung als kommunale Pflichtaufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge die lokale Wärmewende beschleunigen und ihre Sozialverträglichkeit sichern könnte. Eine solche Prüfung müsste die verbundenen zusätzlichen Personal- und Finanzressourcen der Kommunen beziffern.

Als Pflichtaufgabe würden Kommunen feste Budgets für die klimaneutrale Wärmeversorgung erhalten, was einerseits die Finanzierbarkeit von Wärmeprojekten durch Banken steigert. Andererseits könnte eine zentral von Kommunen verantwortete Versorgung von höheren Anschlussraten und Skaleneffekten profitieren und damit zu günstigeren Kosten führen. Mithilfe flankierender Beratungsangebote würden die Kommunen so in die Lage versetzt, langfristig souverän über die lokale Wärmeinfrastruktur und -preisbildung zu entscheiden. Der gesellschaftliche Zusammenhalt könnte gestärkt werden, indem die Wärmeversorgung als gemeinsames Projekt der Daseinsvorsorge erlebt würde und Lasten und Aufwand sich für private Hausbesitzer:innen reduzieren würden.

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Zahlungsaufschub für Wärmenetze in kleinen Gemeinden einführen
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Kleine und mittlere Gemeinden leiden in Frankreich unter einem Mangel an Eigenkapital und an Zugang zu Fremdkapital. Analog zur Gebäudesanierung sollte die französische Regierung einen Zahlungsaufschub für Wärmenetze gewähren: Genauso wie Zahlungsziele für Investitionen in die Energieeffizienz von Gebäuden hinausgeschoben werden können, sollte dies auch für den Bau von Wärmenetzen in kleinen und mittleren Städten möglich sein. Auch hier könnten die später im Betrieb generierten Einnahmen für die Abzahlung genutzt werden. Das Modell einer SemOp, einer öffentlich-privaten Partnerschaft wie in Amiens, sollte für den Bau und Betrieb neuer Wärmenetze gefördert werden.

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Tiefengeothermie durch staatliche Absicherung des Fündigkeitsrisikos fördern
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Das Fündigkeitsrisiko, also das Risiko, bei einer Bohrung keine ausreichend ergiebige oder geeignete Wärmequelle zu finden, stellt ein großes Investitionshemmnis dar. Wenn Kommunen Tiefengeothermie nutzen wollen, sind die notwendigen Probebohrungen kostenintensiv.

In Deutschland ist ein Förderkonzept zur Absicherung des Fündigkeitsrisikos bei Tiefengeothermie in der Entwicklung, das kurzfristig zur Verfügung stehen soll (Stand: 10/2024). In Frankreich wurde für den Großraum Paris ein Garantiefonds aufgelegt, welcher das Fündigkeitsrisiko abdeckt und bis zu 90 Prozent der Kosten erstattet. Dieser Fonds wurde zum 1. Januar 2024 auf ganz Frankreich ausgeweitet. Die dafür bereitstehenden Mittel sind jedoch unzureichend, weil der Erstattungsrahmen von 9 Millionen Euro pro Projekt in anderen Regionen oft nicht ausreicht. Die französische Regierung sollte die Mittel für den Garantiefonds entsprechend aufstocken, die regional unterschiedlichen Finanzierungsbedarfe berücksichtigen sowie mehr geologische Explorationsstudien finanzieren.

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Die Caisse des Dépôts in Paris
Ein Transformationskredit für die sozial-ökologische Transformation
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Die Caisse des Dépôts et Consignations, eine öffentliche Einrichtung in Frankreich, ermöglicht Kommunen durch Kreditvergabe unter anderem die Finanzierung von Wärmenetzen. Speisen diese sich zu 60 Prozent aus erneuerbaren Quellen oder Abwärme, können die Kommunen bis zu 100 Prozent ihres Finanzbedarfs über einen Kredit finanzieren. Die Laufzeit des Kredits beträgt 25 bis 60 Jahre, abhängig von der Amortisationsdauer des Projekts, und ist an einen festen Zinssatz gekoppelt.

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Hafenansicht des Projektes Calorie Kehl-Straßburg
Kehl-Straßburg: grenzüberschreitende Abwärme
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Das Projekt Calorie Kehl-Straßburg plant, die Abwärme aus der Stahlproduktion der Badischen Stahlwerke zu nutzen und diese mit dem Wärmenetz von Straßburg zu verbinden. Damit könnten ab 2027 in Straßburg 7 000 Haushalte mit umweltfreundlicher Fernwärme versorgt werden. Das Konzept sieht vor, eine Wärmeleitung durch den Rhein zu bauen – eine Herausforderung sowohl technischer als auch rechtlicher Natur. Diese ambitionierte Aufgabe könnte sich als ein herausragendes Beispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Innovation in der Wärmewende erweisen.

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Rohbau Fußgängerunterführung im Süden mit Fernwärmeleitung
Amiens: Die Stadt behält die Kontrolle über ihr Wärmenetz
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In Amiens wird das Wärmenetz von einer einzigartigen öffentlich-rechtlichen Partnerschaft betrieben: einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft mit Einzelbetrieb (Société d’économie mixte à opération unique SemOp). Dank dieser Struktur behält die Stadt Amiens trotz ihrer Minderheitsbeteiligung die Sperrminorität und somit entscheidenden Einfluss, kann jedoch zusätzlich privates Kapital mobilisieren. Die Rechtsform ermöglichte es der Kommunalbank Banque des territoires, der Stadt einen kurzfristigen Überbrückungskredit von 12 Millionen Euro über fünf Jahre zu gewähren, um die Finanzierung vor der Auszahlung von Subventionen aus dem Wärmefonds zu sichern.

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Tiefegeothermiekraftwerk in München-Freiham
München: hohe Investitionen für Tiefengeothermie
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Tiefengeothermieanlagen in München liefern bereits 10 Prozent des Wärmebedarfs des Fernwärmenetzes – ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigen Wärmeversorgung. In der Theorie könnten sogar bis zu 80 Prozent der Wärme durch eine Kombination aus Abwärme, Geothermie und Wärmepumpen gedeckt werden. Doch die Praxis stellt die Stadt vor große Herausforderungen: Geeignete Flächen im dicht bebauten Stadtgebiet sind rar, und die Umsetzung der ambitionierten Geothermiestrategie erfordert Investitionen in Milliardenhöhe.
 

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Bäume im Herbst
Bürger:innen gestalten die Wärmewende im ländlichen Raum.
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Das Projekt ForestEner ist eine „öffentliche, private und bürgerliche“ Initiative, die insbesondere ländliche Gemeinden bei der Umsetzung von Holzenergieprojekten in Zusammenarbeit mit lokalen Bürgerinitiativen unterstützt. Die Initiative hilft den Kommunen bei der Suche nach Finanzierungen, der Umsetzung ihrer Projekte und der Gestaltung der Governance. So ermöglicht ForestEner den Betrieb von 12 Holzheizwerken und Wärmenetzen, die 8 000 MWh pro Jahr produzieren und mit Holz aus einem Umkreis von 40 km versorgt werden.

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Menschen stehen vor einem Fernwärmerohr.
Nordrhein-Westfalen: Absicherung von Geothermiebohrungen
Description / Beschreibung

Das Land Nordrhein-Westfalen und die Landesbank NRW.BANK sichern seit Frühjahr 2024 das Fündigkeitsrisiko bei tiefen und mitteltiefen Geothermiebohrungen teilweise ab. Der Zuschuss für eine Bohrung von 45 bis 65 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben muss bei Erfolg vom Unternehmen zurückgezahlt werden. Falls sich das geothermische Reservoir als ungeeignet erweist, ist eine Rückzahlung nicht erforderlich.

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Politische Handlungsempfehlung - Finanzierung der kommunalen Wärmewende erleichtern
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