Strukturen und eine Kultur der interinstitutionellen Zusammenarbeit auf lokaler Ebene stärken
„Das Projekt ‚Territoires d’innovation‘ [1] hat in der Region Dünkirchen eine enorme kreative Energie entfacht, um gemeinsam zu denken, gemeinsam zu erfinden, gemeinsam zu entscheiden, gemeinsam zu arbeiten und natürlich gemeinsam zu leben. Das ist der ‚Geist von Dünkirchen‘, diese Fähigkeit, ein Kollektiv zu schaffen, zu vereinen, zu reflektieren, sich anzupassen, um das Morgen zu erfinden."
Patrice Vergriete, Bürgermeister und Präsident des Gemeindeverbunds Dünkirchen
[1] Territoires d’Innovation (Dt.: Innovationsgebiete) ist ein von der Banque des Territoires umgesetztes Förderprogramm, das 24 Gebietskörperschaften in Frankreich mit 450 Millionen Euro über 15 Jahre fördert.
Im französischen Dünkirchen arbeiten lokale und regionale Behörden, Wirtschaftsakteure und Verbände seit den 1980er Jahren erfolgreich zur industriellen Ökologie [2] zusammen. Diese Zusammenarbeit wird seit 2019 durch das nationale Programm Territoires d’innovation unterstützt. Das Beispiel zeigt: Wenn lokale Allianzen unterschiedlicher Schlüsselakteure, auch über territoriale Verwaltungsgrenzen hinweg das Mandat und die Ressourcen für eine Zusammenarbeit erhalten, können sie gemeinsame Visionen entwickeln und sozial-ökologische Transformation vorantreiben.
[2] Industrielle Ökologie ist ein Konzept zur nachhaltigen Gestaltung von Produktionsprozessen. Der Kerngedanke ist es, Grundsätze von natürlichen Ökosystemen auf die Industrieproduktion zu übertragen. Dabei wird ein industrielles Ökosystem entworfen, um Rohstoff- und Energieverbrauch zu minimieren.
Klimawandel und demnach auch Klimaschutz machen nicht vor Verwaltungsgrenzen halt. Lokale Behörden können die sozial-ökologische Transformation nicht allein bewältigen. Wie insbesondere Erfahrungen der Städte Marburg, Loos-en-Gohelle, Dünkirchen und La Rochelle zeigen, braucht es, um ambitionierte Klimaschutzziele zu erreichen, nicht nur eine Vielfalt von Zusammenarbeit, sondern eine regelrechte Kooperationskultur mit entsprechenden Strukturen. In diesem Rahmen unterscheidet das Deutsch-Französische Zukunftswerk drei Arten der horizontalen Zusammenarbeit:
- Die Zusammenarbeit zwischen benachbarten Gebietskörperschaften innerhalb einer Region. Diese ist bisher noch unzureichend.
- Die Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und Akteuren aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft zur Entwicklung einer gemeinsamen Vision und deren Umsetzung für eine sozial-ökologischen Transformation. Diese Art der Zusammenarbeit nimmt zu.
- Zusammenarbeit in (trans-)nationalen Netzwerken, die den Austausch und das gegenseitige Lernen fördern. Diese braucht dauerhafte Unterstützung.
Positive Beispiele zeigen den Mehrwert dieser Art von horizontaler Zusammenarbeit: Zusammenschlüsse von öffentlichen und privaten Akteuren, wie die regionalen Energieagenturen in Baden-Württemberg oder die regionalen Agenturen und Beobachtungsstellen für Energie und Umwelt [3] in Frankreich, erleichtern die gemeinsame Planung, Umsetzung und Evaluation von regionalen Vorhaben für eine sozial-ökologische Transformation. Solche Agenturen gibt es in Deutschland allerdings nur vereinzelt.
Die Zusammenarbeit zwischen lokalen Schlüsselakteuren wird oft nur eingeschränkt praktiziert. Das liegt vor allem daran, dass diese Form der Zusammenarbeit für die öffentliche Verwaltung und alle anderen Beteiligten eine, obgleich wertvolle, jedoch ungewohnte und zeitintensive Aufgabe ist. Sie erfordert Vertrauensaufbau, Kenntnis, Verständnis für die Perspektiven der jeweils anderen Akteure sowie Koordinationsfähigkeit. Dies bedarf Ressourcen, Räume und Strukturen. Welche Wirkung Anreize der nationalen Ebene haben können, zeigt sich am Beispiel des französischen Gemeindeverbunds Dünkirchen. Als Reaktion auf die Industriekrise der 1980er Jahre und im Zuge nationaler Projektausschreibungen kam es zu einer Annäherung zwischen dem Gemeindeverbund Dünkirchen und privatwirtschaftlichen Akteuren zu Entwicklung einer industriellen Ökologie. Diese Zusammenarbeit wurde 2019 im Rahmen des Förderprogramms Territoires d'innovation, das Strukturen der Zusammenarbeit zu einem Hauptauswahlkriterium gemacht hatte, vertieft.
Die Erfahrungen von Kommunen zeigen, dass der Austausch in Netzwerken wie zum Beispiel Villes Pairs [4], La Fabrique des transitions [5], Energy Cities6, BioCanteens (URBACT) [7], dem Klima-Bündnis e.V. [8] oder TANDEM [9] helfen kann, erfolgreiche Konzepte anderer Städte zu übertragen. Die Anregung und Organisation von qualitativem Austausch in nationalen und transnationalen Netzwerken benötigen jedoch Zeit und Kompetenzen. Bisher geht eine fehlende Anerkennung der Wirkkraft solcher Netzwerke aber oftmals mit mangelnden finanziellen Mitteln einher.
[3] In Frankreich existieren derzeit 18 regionale Agenturen und Beobachtungsstellen für Energie und Umwelt (Fr.: Agences et observatoires régionaux de l’énergie et de l’environnement). Die Aufgaben der Agenturen und Beobachtungsstellen vairieren von Region zu Regio, teils leisten sie ein Klimasschutzmonitoring auf regionaler Ebene.
[4] Villes pairs, territoires pilotes de la transition (Dt.: Partnerstädte, Pilotregionen des Wandels) sind eine Reihe von Austausch- und Workshopformaten, die seit 2018 dem Erfahrungsaustausch am Strukturwandel beteiligter lokaler und regionaler Akteure in Frankreich dienen.
[5] Fabrique des Transitions (Dt.: Fabrik des Wandels) ist ein Zusammenschluss von mehr als 200 lokalen und regionalen Akteuren, die sich gegenseitig durch Lernen und Austausch stärken.
[6] EnergyCities ist ein Zusammenschluss von mehreren hundert Gebietskörperschaften aus rund 30 verschiedenen Ländern, die sich einer langfristigen lokale Energiepolitik verpflichtet habe.
[7] Über die europäischen URBACT-Transfernetzwerke sollen gute Praktiken von Kommunen in die Breite getragen und an andere lokale Gegebenheiten angepasst werden. Das Projekt BioCanteens zielt darauf ab, von Mouans-Sartoux entwickelte Praktiken im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung in Schulen in andere europäische Städte zu übertragen.
[8] Der Klima-Bündnis e.V. bringt rund 1.800 Mitgliedskommunen in 27 europäischen Staaten sowie Bundesländer, Provinzen, NGOs und andere Organisationen zu Fragen des kommunalen Klimaschutzes zusammen.
[9] TANDEM bringt Kommunen und relevante Akteure aus Deutschland und Frankreich zusammen, die den kommunalen Klimaschutz gestalten und fördern. Es unterstützt die Umsetzung konkreter, beispielhafter Kooperationsprojekte und ermöglicht einen grenzüberschreitenden Austausch.
Frankreich und Deutschland haben die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Kommunen für einen sozial-ökologischen Wandel erkannt: Frankreich organisiert und entwickelt diese Zusammenarbeit seit den Grenelle-Gesetzen [10]. Die deutsche Bundesregierung hat sich mit ihrem Koalitionsvertrag von 2021 verpflichtet, „die Klimakrise gemeinsam zu bewältigen" und "die Erfahrungen und Bedürfnisse der Länder und Kommunen“ bei der Umsetzung neuer Gesetze zu berücksichtigen [11].
Die Dringlichkeit effektiver Klimapolitik erfordert jedoch weitere Maßnahmen. Die Erfahrungen deutscher und französischer Kommunen zeigen, dass sie ohne eine umfassende Zusammenarbeit ambitionierte Klimamaßnahmen nicht umsetzen können. Das Deutsch-Französische Zukunftswerk fordert daher die nationalen Regierungen in Deutschland und Frankreich auf, die Zusammenarbeit von Kommunen über Verwaltungsgrenzen hinaus und zwischen lokalen Schlüsselakteuren innerhalb von Kommunen mit Hochdruck zu unterstützen.
[10] Als Grenelle-Gesetze (Fr.: Lois Grenelle) werden zwei französische Gesetze von 2009 und 2010 bezeichnet, die Verpflichtungen von lokalen Gebietskörperschaften zum Umweltschutz festschreiben und einen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen lokalen Gebietskörperschaften setzen.
[11] Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP von 2021 ist in deutscher Sprache abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800.
Aktionsvorschläge
Dafür empfiehlt das Deutsch-Französische Zukunftswerk den Regierungen Deutschlands und Frankreichs folgende Maßnahmen zu ergreifen:
Die nationalen Regierungen sollten bei Förderprogrammen für Kommunen im Bereich sozial-ökologischer Transformation die Zusammenarbeit von Kommunen untereinander sowie die Zusammenarbeit mit lokalen Schlüsselakteuren aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Forschung zum Auswahlkriterium machen. Das Beispiel des französischen Förderprogramms Territoires d'innovation zeigt, wie wichtig ein zweistufiger Ansatz ist:
- Eine erste Phase der Finanzierung zur Entwicklung eines gemeinsamen Vorhabens: Diese gibt Kommunen und lokalen Schlüsselakteuren die Zeit und Ressourcen, ein gemeinsames Verständnis und Strukturen für die Zusammenarbeit zu entwerfen.
- Eine zweite Phase zur Umsetzung des gemeinsamen Vorhabens.
Diese Phasen sollten zusammen einen Förderzeitraum von mindestens 6 Jahren umfassen.
Dafür empfiehlt das Deutsch-Französische Zukunftswerk den Regierungen Deutschlands und Frankreichs folgende Maßnahmen zu ergreifen:
Die nationalen Regierungen sollten Netzwerke von Gebietskörperschaften in Frankreich und Deutschland auf regionaler, nationaler und transnationaler Ebene finanziell unterstützen. Diese Netzwerke ermöglichen einen Austausch zu Experimenten und ein direktes Voneinanderlernen, insbesondere zwischen kommunalen und regionalen Verwaltungsangestellten, die im und für den Klimaschutz tätig sind.
Der deutschen Bundesregierung empfiehlt das Deutsch-Französische Zukunftswerk zusätzlich:
In Deutschland sollte die Bundesregierung einen flächendeckenden Aufbau regionaler Agenturen und Beobachtungsstellen für Energie und Umwelt nach französischem Vorbild fördern. Diese sollten partnerschaftlich mit allen relevanten öffentlichen, zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten, um eine sozial-ökologische Transformation der Kommunen zu unterstützen und zu begleiten. Dabei sollten die Verwaltung und Politik kleinerer Kommunen besondere Unterstützung erhalten.