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„Dem Populismus muss man einen Klimadiskurs gegenüberstellen, der Menschenvertrauen mittransportiert“

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Luisa Neubauer
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Une personne aux longs cheveux bruns et portant une veste en cuir noire est assise dans un fauteuil gris.
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Luisa Neubauer | Foto: Anna Sommer
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Ressourcenschonendes Verhalten sollte eine Selbstverständlichkeit sein – und die Aufgabe der Politik ist es, dafür die entsprechenden Lebensrealitäten zu schaffen. Darin sind sich das Zukunftswerk und die wohl bekannteste deutsche Klimaaktivistin, Luisa Neubauer einig. Marion Davenas und Thomas Spinrath sprachen mit ihr darüber, wie Politik die notwendigen Diskurse führen sollte.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
21.04.2025
Contenu / Inhalt
Texte / Text

Interview auf Deutsch von Thomas Spinrath und Marion Davenas
Ins Französische übersetzt von Marion Davenas

 

Die Energiewende in Deutschland und Frankreich braucht innovative technische Lösungen und einen massiven Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Diese technische Transformation muss gleichzeitig einhergehen mit einem gesellschaftlichen Wandel hin zu energie- und ressourcenschonenden Lebensstilen. Aus diesem Grund fordert das Deutsch-Französische Zukunftswerk in einer seiner Handlungsempfehlungen, Suffizienz stärker als Hebel der Energiewende zu verankern. Eine der bekanntesten Stimmen in Deutschland, die aus der Klimabewegung heraus für einen Wandel von Politik und Gesellschaft eintritt, ist die Geographin und Publizistin Luisa Neubauer. Marion Davenas und Thomas Spinrath haben sie im Rahmen eines Diskussionsabends im Pariser Goethe-Institut getroffen und mit ihr über die Macht der Kultur und die Verantwortung von Politik diskutiert.

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Fünf Personen sitzen in Sesseln und unterhalten sich auf einer Konferenzbühne.
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V.l.n.r.: Thomas Spinrath, Sarah Pelull, Marion Davenas, Phuc-Vinh Nguyen und Luisa Neubauer diskutierten am 1. April 2025 im Goethe-Institut Paris. | Foto: Philippe Dang
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Marion Davenas: Luisa, Klimaschutz scheint aktuell an politischem Rückhalt zu verlieren. Du schreibst in deinem 2025 erschienenen Buch: „Ein echter Klimadiskurs ist in der Politik – Stand heute – kaum möglich.“ Ist die Klimabewegung gescheitert?

Luisa Neubauer: Nein! Gemessen daran, dass unsere Wirtschaft, unsere kulturellen Normen und sozialen Werte seit über 150 Jahren fossil geprägt sind, sind wir bisher wahnsinnig weit gekommen in der Überwindung von dem großen fossilen Drill in unserer Lebenswelt. Es ist unwahrscheinlich gewesen, dass wir eine solche Selbstverständlichkeit etablieren konnten in den erneuerbaren Energien und in dem Verständnis von Gesundheit und Klimagerechtigkeit. Gemessen daran, was noch notwendig ist, um die schlimmsten Katastrophen und Kipppunkte zu verhindern, sind wir natürlich noch nicht weit genug gekommen.

Thomas Spinrath: Stichwort: „Was noch notwendig ist“... Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, müssen Deutschland und Frankreich den Energieverbrauch bis 2050 um mindestens die Hälfte senken. Wir als Zukunftswerk fordern von den Regierungen, den Hebel der Suffizienz – also ressourcenschonendes Verhalten – in der Energiewende stärker anzuerkennen und nachhaltige Lebensstile besser zu fördern. Wie kann das deiner Meinung nach am besten gelingen?

Témoignage / Text
„Es geht darum, Lebensrealitäten zu schaffen, die es so leicht wie möglich machen, nachhaltig zu leben.“
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L. Neubauer: Indem man aufhört darauf zu bauen, Menschen mit den besseren Fakten überzeugen zu wollen. Es liegt nicht an einem Informationsdefizit, warum Menschen sich gerade jetzt nicht klimaschonend verhalten. Es geht darum, Lebensrealitäten zu schaffen, die es so leicht wie möglich machen, nachhaltig zu leben. Ich finde übrigens, dass Paris eine fantastische Stadt dafür ist. Wenn ich mich hier von A nach B bewegen will, ist das Fahrrad oft die schnellste Fortbewegungsmöglichkeit und es gibt in den allermeisten Fällen einen Fahrradweg, den ich nutzen kann. Solange die Idee der Suffizienz eine Idee des Verzichts ist, wird es schwer sein zu inspirieren und eine neue Selbstverständlichkeit zu entwickeln.

M. Davenas: Du schreibst auch in deinem Buch, die Klimabewegung darf eben nicht nur mit Fakten, sondern muss mit Emotionen und Erzählungen überzeugen. Wie geht das konkret und welche Rolle spielt dabei die Politik?

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Zwei Personen blicken zu einer anderen, die in ein Mikrofon spricht
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Luisa Neubauer gehört zu den bekanntesten Klimaakivist:innen Deutschlands. | Foto: Philippe Dang
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L. Neubauer: Die Politik spielt eine wahnsinnig wichtige Rolle. Der politische Diskurs ist ein Vorbilddiskurs. Was wir zuletzt im deutschen Wahlkampf – aber übrigens auch zuvor in Frankreich – erleben konnten, war eine Politik, die große Populismen in die Bevölkerung reingerufen hat, bis sie aus dieser Bevölkerung wieder zurückgekommen sind. Diese populistische Bevölkerungsüberzeugung haben Parteien dann als Erklärung dafür genommen, warum sie eine bestimmte Politik vertreten. Dem entgegenstellen müsste man einen Klimadiskurs, der sich vornimmt, weniger zu ermahnen als eben zu inspirieren, der in gewisser Weise auch eine Art Menschenvertrauen mittransportiert.

M. Davenas: Als du gerade von Vorbilddiskurs gesprochen hast, musste ich daran denken, dass du in Interviews oft gefragt wirst: Steigst du ins Flugzeug? Wie fühlst du dich als Aktivistin in der Rolle, dass viele Menschen dich als Vorbild betrachten bzw. hohe Erwartungen an dein nachhaltiges Verhalten haben?

L. Neubauer: Das ich als öffentlich exponierte Person eine Vorbildfunktion habe, kann ich nicht abstreiten. Das Interessante daran ist für mich: Ich spreche jedes Jahr auf hunderten Protesten und Konferenzen, ich schreibe Bücher über Hoffnung und Mut. Der Aspekt, an dem dann aber meine Vorbildhaftigkeit gemessen wird, ist der Moment, wo ich vor einer Plastikflasche stehe. Das sagt sehr viel über unser unterkomplexes Verständnis davon aus, wo Wirksamkeit in der Klimakrise entsteht. Egal wie viel ich persönlich fliege, wie viel Steak ich esse oder wie viel ich Auto fahre, ist das nicht der große Hebel im Klimaschutz.

Ich habe da aber meine Meinung auch ein bisschen geändert in den letzten Jahren. Früher habe ich Leuten immer sehr strikt gesagt: Es ist egal, wie du lebst. Es geht darum, dass du auf der Straße stehst, dass wir die Kohlekraft abschalten und dass wir aus fossilem Gas aussteigen. Heute würde ich aus eigener Erfahrung sagen: Wenn du das Privileg hast, ökologisch zu leben, dann mache es auch! Es ist anstrengend, gegen seine eigenen Überzeugungen zu leben.

T. Spinrath: Studien zeigen, dass der Klimawandel, aber auch die Klimapolitik in weniger privilegierten Gesellschaftsklassen oft ein Gefühl der Überforderung und auch Abstiegsängste auslöst. Wie könnte konkret eine Klimapolitik aussehen, die Vertrauen transportiert und sozialen Ausgleich ermöglicht?

Témoignage / Text
„Ein großer Schritt in der Klimafrage wäre, dort erfolgreicher zu sanktionieren, wo die Klimaschäden entstehen.“
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L. Neubauer: Es wäre naiv davon auszugehen, dass man nach mindestens 20 Jahren strukturell ungerechter Politik allein durch Klimaschutzmaßnahmen soziale Gerechtigkeit schaffen kann. Ein großer Schritt in der Klimafrage wäre aber, dort erfolgreicher zu sanktionieren, wo die Klimaschäden entstehen. Dieses Ungerechtigkeitsgefühl entsteht ja vor allem dort, wo Menschen das Gefühl haben: Die großen Konzerne, die Superreichen machen unseren Planeten kaputt und ich soll jetzt dafür geradestehen. Wenn die Superreichen mit dem schädlichsten Lebensstil und gleichermaßen die fossilen Konzerne in die Pflicht genommen würden, dann ließe sich auch einfacher erklären, warum alle anderen eben auch ein bisschen anpacken müssen.

T. Spinrath: Dein neues Buch heißt: „Was wäre, wenn wir mutig sind?“ Was macht dir gerade Mut?

L. Neubauer: Mir macht Mut, dass wir jetzt wieder einmal erleben, dass der Wandel oft aus den Orten kommt, wo wir uns in Deutschland normalerweise nicht die Mühe machen hinzugucken. Ich denke an die Massenproteste in der Türkei und in Serbien. Diese Unwahrscheinlichkeit des Wandels, die kann man grade sehr live verfolgen. Darüber hinaus finde ich sehr beruhigend, dass ich eine große Nachdenklichkeit überall auf der Welt erlebe. Also Menschen mit denen ich viel zu tun habe, die fragen sich ganz ernsthaft: Was können wir machen in dieser Zeit?

T. Spinrath: Eine Frage, die auch wir vom Zukunftswerk weiter diskutieren werden!

M. Davenas: Vielen Dank für das Gespräch!

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Über Luisa Neubauer

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Luisa Neubauer ist eine der weltweit bekanntesten Klimaaktivist:innen. In Deutschland wurde sie als eine der führenden Organisator:innen der Fridays for Future bekannt. Zuletzt erschien von ihr: Was wäre, wenn wir mutig sind (Rowohlt, 2025). Seit 2020 hostet sie den Klima-Podcast 1,5 Grad. Luisa Neubauer studiert Geographie an der Universität Göttingen.