Wenn das Europäische Parlament Einzug in unsere Wohnungen hält
Von Arthur Frantz
Übersetzung aus dem Französischen von Annette Kulzer
Maßnahmen greifen auf verschiedenen Ebenen ineinander
Ganze 75 % des europäischen Gebäudebestands sind nicht energieeffizient. Daher ist die energetische Sanierung ein wichtiger Hebel, um das EU-Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Dieses Ziel wird auch von vielen französischen und deutschen Gebietskörperschaften individuell angestrebt – mit unterschiedlichen Fristen, um das Vorhaben umzusetzen: Beispielsweise möchte die Stadt Lyon bis 2030 klimaneutral sein, Greifswald bis 2035.
In Frankreich sind die Gebietskörperschaften eigentlich nur verpflichtet, die Beratungsstellen von France Rénov' zu beherbergen. Doch ebenso wie in Deutschland ergreifen sie häufig die Initiative, um umfassendere Betreuungsangebote zu erstellen oder große Renovierungsprojekte auf Quartiersebene durchzuführen. Sie sind dadurch von entscheidender Bedeutung für die energetische Renovierung.
Die deutschen und französischen Mitglieder der Resonanzräume des Zukunftswerks kamen im März 2024 zu einer ersten Arbeitssitzung in Metz zusammen und waren dort einer Meinung: Um effektiv handeln zu können, benötigen die Gebietskörperschaften leistungsfähige Instrumente und günstige Rahmenbedingungen. Die neue Richtlinie, das Fundament des European Green Deal, der die Entwicklung des ökologischen Wandels vorantreiben soll, versucht, auf diese Bedürfnisse zu antworten. Eine sinnvolle Idee, denn im Bereich der energetischen Sanierung sind die lokale und die europäische Ebene stark miteinander verflochten.
Welche Neuerungen bringt die aktualisierte Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden mit sich? Einerseits sollen die Zielsetzungen und Planungsinstrumente der EU-Mitgliedsstaaten gestärkt werden: Der Prozentsatz, bis 2030 die am wenigsten effizienten Gebäude über nationale Sanierungsstrategien zu renovieren, soll auf 16 % angehoben werden. Andererseits sollen konkrete Tools eine bessere finanzielle Unterstützung der Eigentümer:innen, mehr Autonomie und eine effizientere Durchführung der Renovierungsmaßnahmen ermöglichen.
Konkrete Instrumente und Maßnahmen
In den Worten der EU-Energiekommissarin Kadri Simson sollen diese Maßnahmen eine „Welle von Renovierungen in der gesamten Union auslösen“. Doch mit welchen konkreten Mitteln können die Gebietskörperschaften diese „Welle“ vor Ort begleiten? Die verabschiedete Richtlinie schlägt unter anderem die Einführung eines Gebäuderenovierungspasses vor, der von jedem Mitgliedsstaat erstellt werden soll. Dessen Ziel ist es, Hausbesitzer:innen dabei zu unterstützen, ihre Gebäude auf die passende Weise umzubauen. Die Stadt Chemnitz hat damit bereits eigene Erfahrungen bei der Sanierung des Stadtteils Brühl gemacht: Dank eines Gebäudepasses, der auf einfache Weise die wichtigsten möglichen Sanierungsmaßnahmen nach Gebäudemerkmalen sortiert darstellt, konnte eine große Zahl an Eigentümer:innen erfolgreich angesprochen und mobilisiert werden. Am Ende konnten fast 90 % der Gebäude in dem Viertel saniert werden.
Um passende Tools zu schaffen, zeigt das Beispiel Chemnitz, wie wichtig ein niedrigschwelliger Zugang zu Energie- und Gebäudedaten ist – denn der ist bislang nicht selbstverständlich. Die Richtlinie will auch dieses Problem angehen: Sie schreibt die Einrichtung einer öffentlichen „nationalen Datenbank über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ vor, die leicht eingesehen werden kann und den lokalen Behörden zur Verfügung gestellt wird. Hier dient die in Frankreich eingerichtete Datenbank IMOPE der Organisation Observatoire national du Bâtiment als Inspiration: Sie sammelt engmaschig alle verfügbaren Baudaten und gliedert diese nach Gebäudemerkmalen für das gesamte Land.
Darüber hinaus will die EU das Verfahren des One-Stop-Shop fördern, d. h. der zentralen Beratungsstellen, in denen vielfältige Aufgaben und Kompetenzen gebündelt sind: Neben Informationen über die möglichen Finanzierungsmöglichkeiten sollen diese Stellen idealerweise auch je nach Zielgruppe unterschiedliche technische Unterstützung für Eigentümer:innen anbieten und die lokalen Wirtschaftsakteur:innen mobilisieren. In Deutschland ist das Projekt ProRetro vom Wuppertal Institut an der Umsetzung des One-Stop-Shop-Verfahrens in verschiedenen Städten wie Berlin oder Böblingen (Baden-Württemberg) beteiligt. Es erarbeitet auf der Grundlage dieser lokalen Erfahrungen konkrete Empfehlungen, um solche One-Stop-Shop-Stellen leichter einzurichten. In Frankreich sind ebenfalls zentrale Anlaufstellen entstanden, darunter die lokale Energie- und Klimaagentur in Marseille Agence Locale de l'Énergie et du Climat de la Métropole Marseillaise, deren Beratungsangebot auf einer intern entwickelten digitalen Plattform basiert, die Privatpersonen mit Fachleuten für Sanierungsarbeiten zusammenbringt.
Konkrete Politik auf lokaler Ebene
Diese Beispiele zeigen, wie wichtig Maßnahmen auf lokaler Ebene sind, um die energetische Sanierung im großen Stil voranzutreiben. Denn es handelt sich um Politik, die in ein lokales wirtschaftliches Ökosystem eingebettet ist. Sie erfordert den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu den Eigentümer:innen, die von den Maßnahmen in ihrem Umfeld nicht zuletzt finanziell direkt betroffen sind. Indem sie energetische Sanierungen in Angriff nimmt, konkretisiert die Europäische Union ihre Maßnahmen für die europäische Bevölkerung und bringt ökologischen Wandel, lokale wirtschaftliche Dynamiken und soziale Gerechtigkeit auf einen Nenner. So betont der Berichterstatter für die EPBD im Europäischen Parlament, Ciarán Cuffe (Die Grünen/ALDE): „Die Richtlinie zeigt, wie sehr sich Klimapolitik tatsächlich und unmittelbar für weniger wohlhabende Haushalte lohnen kann. Dieses Gesetz wird dazu beitragen, Energierechnungen zu senken und die Ursachen der Energiearmut zu bekämpfen, sowie gleichzeitig Tausende hochwertige Arbeitsplätze vor Ort in der gesamten EU zu schaffen.“
Alle Mitgliedsstaaten sind nun für die Umsetzung dieser Richtlinie selbst verantwortlich. Dabei können sich die Staaten von den Erfolgen der Kommunen in Deutschland und Frankreich bei der Förderung großflächiger energieeffizienter Renovierungen inspirieren lassen – und so ihre lokalen Erfahrungen in den Dienst der europäischen Klimaschutzziele stellen. Insbesondere die Aussicht auf einen einheitlichen Rahmen und dauerhaft eingerichtete Tools wird von den Gebietskörperschaften der beiden Länder mit Spannung erwartet. Denn derzeit sehen sich die Akteur:innen noch mit großen Unterschieden in den bundes- und landesweiten Maßnahmen im Bereich der energetischen Sanierung konfrontiert.