Muttersholtz: Wandel, wo man nur hinsieht
Von Marion Davenas
Im Oktober 2022 haben wir uns zum ersten Mal mit Patrick Barbier, dem Bürgermeister der Gemeinde Muttersholtz unterhalten. Bei dem Treffen deutscher und französischer Kommunen, das vom Zukunftswerk und dem Projekt TANDEM organisiert wurde, stellte Barbier die Strategie des Dorfs gegen Zersiedelung vor. Muttersholtz kombiniert Steuererhebungen auf leerstehenden Wohnraum mit einem Sanierungsprogramm und stellte damit innerhalb von vier Jahren 30 zusätzliche Bauten zur Verfügung – ganz ohne neue Flächen in Anspruch zu nehmen. Das ist ein großer Erfolg für eine Gemeinde, die nur 30 Minuten von Straßburg entfernt liegt und immer mehr Städter:innen anzieht.
Ein transversaler ökologischer Ansatz
Doch nicht nur diese Best-Practice-Maßnahmen für eine suffiziente Bodenpolitik haben das Medieninteresse auf Muttersholtz gelenkt. Wie Loos-en-Gohelle, Mouans-Sartoux oder Ungersheim gehört der kleine Ort zu den französischen Gemeinden, die regelmäßig als Modellregionen der sozial-ökologischen Transformation vorgestellt werden.
Ob Schutz der Biodiversität, energetische Sanierung und Souveränität oder Mobilitätswende: Seit seiner ersten Wahl zum Bürgermeister im Jahr 2008 haben Patrick Barbier und sein Team in vielen Bereichen große Fortschritte erzielt. Das breit angelegte und gut strukturierte Projekt für den Klima- und Umweltschutz wird seit den 1970er-Jahren von engagierten Vereinen der Region unterstützt und vorangetrieben. Die von Barbier initiierten Projekte verbinden oft mehrere Teilgebiete der ökologischen Transformation. So werden Sanierungsprojekte leerstehender Wohnräume zum Beispiel nur dann finanziell unterstützt, wenn sie energetisch sind.
Mittel mobilisieren – eine echte Herausforderung
Auf die Frage, wie es seiner Gemeinde gelingt, so viele Projekte effizient voranzutreiben, verweist Patrick Barbier auf die umfangreiche Unterstützung durch das Departement, die Region, die französische Agentur für den ökologischen Wandel, ADEME, und durch nationale Programme wie das „Territoire à Energie Positive pour la Croissance Verte (TEPCV)“ (etwa: Gebiete mit positiver Energiebilanz für grünes Wachstum). „Wir haben selten finanzielle Schwierigkeiten und bekommen viel tatkräftige Hilfe“, beteuert er. Das Geld kommt dort an, wo Dinge in Gang gesetzt werden.
Unterlagen für Projektausschreibungen auszuarbeiten sei sehr zeitintensiv und erfordere hohe administrative Kenntnisse. Deshalb sei es wichtig, die richtigen Mitstreiter:innen an seiner Seite zu haben. Patrick Barbier hat sich dafür entschieden, gut qualifizierte Mitarbeitende einzustellen, die sich mit der Erstellung von Verwaltungsdokumenten auskennen, sich gut im Subventionsdschungel zurechtzufinden und offen für neue Ideen sind. Diese Strategie erinnert an das französische Dorf Loos-en-Gohelle: Auch hier sind Akteur:innen des städtischen Ingenieurwesens verhältnismäßig stark vertreten, um Transformationsprojekte mit zu tragen.
Um auf die Projektausschreibungen, die oft nur eine kurze Frist haben, antworten zu können, setzt das Team von Patrick Barbier auf die eigene Weitsicht: Ohne auf die offizielle Veröffentlichung der Ausschreibungen zu warten, führt es bereits Studien zur Durchführbarkeit der geplanten Projekte durch. „Mit den Studien sind wir immer einen Schritt voraus. Wenn die Ausschreibungen veröffentlicht werden, können wir uns auf validierte Fakten stützen. Die Kostenaufstellung steht bereits“, erklärt der Bürgermeister.
Inspiration auf der anderen Seite des Rheins
Von Muttersholtz aus ist die deutsche Grenze nur einen Steinwurf entfernt. Das Nachbarland sei eine echte Inspirationsquelle für Patrick Barbier, erzählt er. Und dass er gerne nach Freiburg fahre, wenn einmal die Motivation sinkt. „Manchmal nehme ich meine Kolleg:innen mit, um ihnen zu zeigen, was alles möglich ist.“ Eines seiner Vorbilder sei das Schwarzwalddorf Schönau: Dessen Einwohner:innen haben das Stromnetz der Stadt gekauft und beliefern nun hunderttausende Menschen in ganz Deutschland mit Ökostrom.
Resilient in der Energiekrise
Seine lokale Energieproduktion verhalf dem kleinen Dorf besonders in der aktuellen Energiekrise – aber auch schon lange zuvor – zu einer vorteilhaften Stellung: Die Gemeinde reaktivierte damals ein Kleinwasserkraftwerk und installierte Solarpaneele auf vielen öffentlichen Gebäuden. So wurden optimale Voraussetzungen für eine klimaschonende Stromversorgung geschaffen. Diese Investition schützt heute den städtischen Haushalt vor steigenden Energiepreisen und schafft dadurch Spielraum für neue Projekte. Dazu gehört die Errichtung eines klimaneutralen Windparks, der den Energieverbrauch der Bewohner:innen und Unternehmen zu einem Großteil decken soll.
Doch auch bei diesem Projekt ist der Aufwand nicht gerade gering: Nicht nur die finanziellen Kosten für die Gemeinde sind hoch, sondern auch politische und verwaltungstechnische Ressourcen werden in großem Stil benötigt. Der Bürgermeister trifft auch hier auf administrative und steuerliche Hürden, die das Voranschreiten verlangsamen. Patrick Barbier hofft auf eine stärkere Unterstützung seitens des Staates, um diese Hindernisse zu überwinden, die Motivation engagierter lokaler Akteur:innen zu stärken, sie zu unterstützen und ihre Arbeit zu erleichtern. Für diese Form der Unterstützung setzt sich auch das Zukunftswerk in seinen Handlungsempfehlungen ein.