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Wie sieht eine gerechte Energiewende aus Sicht der Bürger:innen aus?

État / Zustand
Observatoire de la Transition juste 2024
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Altes Steinhaus, das von Hochhäusern umgeben ist.
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Bürger:innen in Deutschland und Frankreich sind zunehmend von Energiearmut betroffen. Sie fordern Fortschritte bei der Umsetzung der Energiewende. | Foto: Lamiot, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Accroche / Aufhänger
Wie erleben Bürgerinnen und Bürger in Europa Energiewende und Klimawandel? Ein Expert:innen-Netzwerk hat dies in einer Umfrage mit über 10 000 Teilnehmenden aus elf Ländern ermittelt. Marie-Cécile Milliat wirft einen Blick auf die Ergebnisse.
Date de publication / Veröffentlichungsdatum
17.02.2025
Contenu / Inhalt
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Von Marie-Cécile Milliat
Aus dem Französischen übersetzt von Annette Kulzer

 

Vermögen umverteilen, besser informieren, vulnerable Gruppen stärken – das erwarten Bürger:innen von der Politik, wenn sie eine gerechte Energiewende verspricht. Das in Paris ansässige Marktforschungsunternehmen Ipsos und die französische Großbank BNP Paribas haben mehr als 10 000 Personen in elf europäischen Ländern befragt, wie sie die Energiewende und den Klimawandel erleben. Aus den Ergebnissen der Umfrage ergeben sich drei Fragestellungen, mit denen sich auch das Zukunftswerk in seiner Arbeit zur kommunalen Energie- und Wärmewende beschäftigt hat:

  1. Wie stärken wir Wohnsuffizienz als Hebel für die Energiewende?
  2. Wie kommen wir vom individuellen, sparsamen Handeln zur Suffizienz als politischem Instrument?
  3. Wie schützen wir Bedürftige vor Energiearmut?

Aber woher kommt die Idee einer gerechten Energiewende? Das Konzept des „gerechten Wandels“ wird im politischen Diskurs über die Dekarbonisierung sowohl in Deutschland als auch in Frankreich immer häufiger verwendet. Der Begriff tauchte erstmals in den 1970er-Jahren in gewerkschaftlichen und akademischen Kreisen jenseits des Atlantiks auf und zog dann immer größere Kreise. Im Jahr 2015 wurde er in die Präambel des Pariser Abkommens aufgenommen, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. In weniger als einer Generation sind die weitreichenden sozialen Auswirkungen der Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels daher zu einer zentralen Dimension der zu leistenden Arbeit geworden. Die Europäische Union setzte 2019 ein Zeichen, indem sie mit dem European Green Deal ein ambitioniertes Programm startete und diesen zum zentralen Schwerpunkt der neuen Europäischen Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen machte. Anfang 2025 scheint die Situation jedoch weniger günstig zu sein. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten, und somit auch auf Deutschland und Frankreich.

Seit 2022 vergleicht die Initiative Observatoire de la Transition juste die Analysen mehrerer Akteure: einer Universität (Università Bocconi), eines Think Tanks (Terra Nova), eines Meinungsforschungsinstituts (Ipsos) und einer Bank (BNP Paribas). Die Tatsache, dass einige Ergebnisse erst Ende 2024 vorgestellt wurden, hat den Vorteil, dass sie genauer zeigen, was im Alltag passiert und wo die Kämpfe sprichwörtlich ausgetragen werden.

Energieverbrauch in den deutschen und französischen vier Wänden

Ein Beispiel aus der Arbeit des Zukunftswerks: Das Projekt hat den Wohnungssektor als einen der Bereiche identifiziert, die durch gezielte Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Energieeffizienz, unterstützt werden sollten. Allerdings nimmt die Bereitschaft der deutschen und französischen Bevölkerung, ihre Wohnräume besser zu dämmen oder ihre Heizungsart zu wechseln, immer weiter ab. Langsam macht sich eine Art Müdigkeit breit. Von Berlin bis Paris sind die Meinungen zurückhaltend, wenn es darum geht, das individuelle Verhalten grundlegend zu ändern. Sie fordern Fortschritte bei der Umsetzung der Energiewende, insbesondere seitens der industriellen Akteure. Die Entwicklungen geben Anlass zur Sorge, fordern doch sogar Skeptiker:innen mit Blick auf zunehmende Naturkatastrophen wie den verheerenden Waldbränden in Kalifornien eine Beschleunigung der Energiewende. Andere Kommentatoren heben hervor, dass die Kontrolle des Energieverbrauchs für die Bürger:innen in Deutschland und Frankreich weiterhin von großer Bedeutung ist. Trotz der wiederholten Polemik populistischer Parteien in der EU in den vergangenen Monaten bleibt dieses Anliegen bei über 50 Prozent der Bevölkerung fest verankert.

Soziale Ungleichheiten in der Energiewende

In Deutschland und Frankreich werden die Befürchtungen laut, dass die Energiewende soziale Ungleichheiten verschärfen und die Gesellschaften spalten könnte. Was also tun? Auf beiden Seiten des Rheins werden unterschiedliche Hebel vorgeschlagen. Deutschland ist Frankreich beispielweise weit voraus (43 Prozent gegenüber 35 Prozent), wenn es darum geht, eine Umverteilung des Reichtums vorantreiben zu wollen, bei der Wohlhabende stärker zur Kasse gebeten werden. Umgekehrt sind die französischen Bürger:innen viel eher der Meinung (31 Prozent gegenüber 19 Prozent), dass die Maßnahmen zur Energiewende auch die Gruppe vulnerabler Personen berücksichtigen sollten. Diese Länderspezifik zeigt sich beispielsweise im sozialen Wohnungsbau Frankreichs, der europaweit als ein Vorzeigemodell gilt, um bezahlbaren Wohnraum und energieeffizienten Wohnkomfort für die bedürftigsten Haushalte zu ermöglichen.

Kein Akteur kann eine gerechte Energiewende allein bewältigen. Das gesamte wirtschaftliche und soziale Gefüge muss mobilisiert werden. Über die Bereitstellung bezahlbarer und zunehmend kohlenstofffreier Energie hinaus müssen alle öffentlichen und privaten Akteure zusammenarbeiten, damit keine Personengruppe auf der Strecke bleibt.

Dafür hat sich das Deutsch-Französische Zukunftswerk in seinem Arbeitszyklus zur Energiewende immer wieder eingesetzt. Aus der mehrmonatigen Arbeit sind insgesamt neun politische Handlungsempfehlungen hervorgegangen, die die Bedarfe und Hebel kommunaler Akteure für eine beschleunigte und sozial-verträgliche Energiewende formulieren.

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