Wiederbelebung der Innenstadt
Was Siegen als Initiative auszeichnet
Wie hat Siegen diesen Wandel geschafft? Gute Kommunikation ist der Schlüssel: Anstatt die Verluste durch den Wegfall von Parkflächen und Fahrbahnen zu betonen, machte die Stadt ihren Bürger:innen und Besucher:innen die gewonnene Lebensqualität erfahrbar. Mit Studien, die zeigten, dass es genügen Parkalternativen gibt, konnten die Argumente mit Fakten untermauert werden. Schnelle Umsetzung, ständiger Dialog und das gemeinsame Feiern von Meilensteinen haben viele Bürger:innen und Geschäftsleute überzeugt.
Bereits seit den 1990er-Jahren wünschte sich die Stadt ein ein lebenswerteres Zentrum ohne Autoabgase. Gut 20 Jahre musste sie auf ihre Gelegenheit warten, bis die Platte sanierungsbedürftig wurde. Die perfekte Gelegenheit, um mit ihrem Abriss ein klares Zeichen für die zukünftige städtebauliche Entwicklung der Innenstadt zu setzen. Klingt nach Aufbruch, Wagemut und Zukunft? Genauso ist es auch gemeint. Die Ziele: die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt verbessern, Platz für Fußgänger:innen schaffen, den Strukturwandel der Region bewältigen, attraktiver Standpunkt für Investor:innen und Wirtschaft bleiben.
Nur fünf Jahre hat es gedauert, bis Siegen diesen Wandel geschafft hat. Mit finanzieller Unterstützung durch die Städtebauförderung renaturierte Siegen das Flussbett, baute die Fußgängerzone bis in die Sandstraße aus und verlieh der Innenstadt durch Bepflanzungen ein grüneres Flair. Das Besondere an dem Projekt sind die Transparenz, mit der über den Umbau informiert wurde, und die Beteiligungsformate, die es in ihrer Dauer und Vielfalt so noch nie in Siegen gab: Schüler:innen malten auf dem Siegdeckel das größte Straßenbild der Welt. Die Stadt versteigerte Stücke davon, nachdem die Platte in einer riesigen Party abgerissen wurde. Im Baustellenbüro vor Ort konnten sich Bürger:innen und Händler:innen niedrigschwellig informieren und trafen auf offene Ohren für ihre Zweifel und Kritik. Jeder Meilenstein wurde mit Bezug zur historischen und kulturellen Identität der Stadt – zum Beispiel ihrer Erzbergbau-Vergangenheit – gefeiert.
Wandel ohne Widerstand gibt es in den wenigsten Fällen – so auch in Siegen. Zu den größten Herausforderungen zählte die Bürger:innenbeteiligung: Wie schafft man es in kurzer Zeit, Menschen für eine aktive Mitgestaltung ihrer Stadt zu begeistern? Wie können Boykott-Versuche von Geschäftstreibenden und Immobilieneigentümer:innen aufgefangen werden, die Angst vor finanziellen Einbrüchen während der Bauphase haben? Braucht es Ausgleichsflächen für die zurückgebauten Fahr- und Parkmöglichkeiten? „Die Antwort lautet: Nein“, so Siegens Stadtbaurat Henrik Schumann, der das Projekt als Stadtplaner begleitete. „Wir haben festgestellt, dass die umliegenden Parkhäuser nie richtig ausgelastet waren. Es war also kein Problem der Quantität, sondern der Qualität. Daran kann man arbeiten, ohne neue Parkflächen zu schaffen.“
Zu den Befürchtungen der Einzelhändler:innen sagt Schumann: „Natürlich gab es Läden, die die Umbauphase nicht durchgehalten haben. Die Betreibenden, die jetzt da sind, sehen nach der Neuvermietungswelle einen Wertgewinn: Das Stadtzentrum hat mit seinen kleinen Boutiquen ein ganz anderes Flair. Händler:innen werden sogar noch häufiger frequentiert.“
Die Abkehr von der autofreien Stadt ist erst der Anfang. Der Abriss der Siegplatte machte Mut, um weitere Projekte anzuschließen. Siegen ist nicht nur eine Stadt am Fluss, sondern auch Universitätsstadt. Seit 2016 arbeitet Siegen daran, den Universitäts-Campus in die Innenstadt zu verlagern. Bestehende Gebäude werden dafür umgenutzt, Universitätsgebäude klimaneutral betrieben. Studierende und Lehrende profitieren von kürzeren Wege und beleben gleichzeitig das Stadtzentrum – als Kund:innen der Einzelhändler:innen und als Akteur:innen von Begegnungsprojekten. Siegen. Wissen verbindet ist nur ein Beispiel für Folgeprojekte, die sich in eine ganzheitliche Strategie eingliedern.
Die Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen Zukunftswerk
Bürgerbeteiligung, wirtschaftliche Aufwertung und ein integriertes Handlungskonzept: Die Vorgehensweise, mit der Siegen es schafft, sich in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln, ist auch für andere Städte in Deutschland und Frankreich interessant. In unserem zweiten Arbeitszyklus (2022/2023) arbeiten wir daher eng mit der Stadt zusammen, um andere Akteur:innen zu inspirieren und Handlungsempfehlungen für die Regierungen beider Länder zu formulieren. Das Beispiel von Siegen zeigt: Die Lebensqualität in unseren Städten hängt sehr oft mit einer nachhaltigen Stadtplanung zusammen. Warum also nicht dieses Argument nutzen, um die Unterstützung der Bevölkerung für solche Projekte zu erhalten? Siegen kann wertvollen Input dazu geben, wie man mit offener Kommunikation Zweifel abbaut und möglichst viele Menschen mitnimmt, wie man in kürzester Zeit Wandel voranbringt und diesen langfristig sichert. Wir freuen uns auf die Kooperation mit Deutschlands grünster Großstadt!
Siegen im Podcast
"Le Podkast" vom Deutsch-Französischen Institut ist der erste Podcast über aktuelle Themen aus Deutschland in französischer Sprache. In dieser Folge berichtet Stéphanie-Fabienne Lacombe, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zukunftswerk, von der erfolgreichen Renaturierung der Sieg.
Siegen in Bildern
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Wirtschaftlicher Kontext:
Als Oberzentrum ist Siegen das Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum von Südwestfalen. Die größten Arbeitgeberinnen der Stadt sind die Diakonie Südwestfalen, gefolgt von der Universität Siegen und der Stadt Siegen selbst. Bis 1965 wurde in der Region Eisenerz abgebaut, bis heute spielt die Metallverarbeitung eine Rolle.
Politischer Kontext:
Seit 2007 ist Steffen Mues (CDU) Bürgermeister von Siegen. Seit 2020 arbeiten die beiden stärksten Fraktionen des Stadtrats (CDU und SPD) zusammen und haben dafür einen Kooperationsvertrag ausgehandelt.
Chronologie des Projekts „Siegen – Zu neuen Ufern“:
2009: Beginn der Planungsphase mit einer europaweiten Ausschreibung der Baumaßnahmen
2012: Beginn der Baumaßnahmen mit dem Abriss der Siegplatte
2016: Abschluss der Neugestaltung mit dem Brückenfest
2023: Abschluss des Projekts mit der Gestaltung des Herrengartens als neue Grünfläche